Daten sammeln, deren Relevanz bewerten, Lösungen entwickeln: Digitalisierung und KI sind zentrale Bausteine für die Zukunftssicherheit eines Unternehmens.
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Mit KI zur besseren Auslastung im Straßengüterverkehr – das hat das Projekt KITE am Fraunhofer IIS in Angriff genommen.
Eine Logistikmesse im Jahr 2020, etwas fachsimpeln am Messestand – so können Forschungsprojekte ihren Anfang nehmen. Zumindest war es so beim Projekt KITE (Künstliche Intelligenz im Transport zur Emissionsreduktion) am Fraunhofer IIS, Arbeitsgruppe für Supply Chain Services. Fraunhofer-Mitarbeiter am Messestand: Benedikt Sonnleitner, der eine Idee mitnahm, am Institut auf offene Ohren stieß und auch den Bund für Fördergelder gewinnen konnte. Sein Ansatz: Lassen sich mit Künstlicher Intelligenz die Auslastung im Straßengüterverkehr verbessern, Leerfahrten vermeiden, damit Kraftstoff sparen und mehr Nachhaltigkeit erreichen?
„Für uns war spannend, ob wir die Tourenplanung mittels KI verbessern können“, so Sonnleitner. „KI muss man sich bei uns aber anders vorstellen als bei Sprachanwendungen wie ChatGPT: Zum einen haben wir deutlich weniger Daten zum Lernen und zum anderen ist die Verknüpfung zum Tourenplanungsalgorithmus, der auf mathematischer Optimierung beruht, zentral.“ Das Problem der Optimierung kennt jeder Disponent: Weil der Lkw sich nicht teilen lässt, können die einzelnen Stationen nur nacheinander angefahren werden. Aber welche Reihenfolge der Anschlusstouren ist die effizienteste?
Gefragt ist ein Verfahren, das Transportvolumen auf verschiedenen Prognose-Ebenen vorhersagt. „Also Vorhersagen zu den Kunden, zur Niederlassung und zum Unternehmen in den unterschiedlich großen Zeithorizonten: Tage, Wochen und Monate“, so Sonnleitner. Diese Vorhersagen sollen in der Tourenplanung genutzt werden, um gezielt Sendungsvolumen zu konsolidieren. Der Lkw fährt dann beispielsweise einen Knoten im Netzwerk einen Tag früher oder später an. „Zum anderen versuchen wir, eine Langfristprognose zu entwickeln, die gezielt Stellen zur Netzoptimierung inklusive Akquise neuer Kunden oder Aufbau neuer Hubs identifiziert.“ An der Entwicklung und Pilotierung des Verfahrens sind ein großes sowie ein mittelständisches Speditionsunternehmen beteiligt.
Von der Kurzzeit- zur Langzeitprognose
KITE vorausgegangen ist das Projekt KIVAS, das die bessere Auslastung im Straßengüterverkehr mit KI-gestützten Kurzzeitprognosen erforschte. Dessen Kernfrage war, wie Nachfrage nach Frachtvolumen vorhergesagt werden kann. Auf ihren prädiktiven Mehrwert hin untersucht wurde eine Vielzahl an Einflussgrößen: Wettervorhersagen, kalendarische Effekte wie Feiertage, Wochenenden und Schulferien, aber auch Konjunktur- und sozioökonomische Daten wie etwa Arbeitslosigkeitsstatistiken. Dabei zeigte sich, dass vor allem das Wetter und kalendarische Effekte einen großen Einfluss auf die Kurzzeitprognose der beteiligten Unternehmen haben. Sonnleitner: „KIVAS konnte nachweisen, dass sich das Frachtvolumen für einzelne Spediteure auf Niederlassungsebene prognostizieren lässt.“
Die große Herausforderung im Projekt KITE war nun die deutlich feingranularere Prognose und deren Verknüpfung mit mathematischer Optimierung zur Tourenplanung. „Tatsächlich basiert unsere verbesserte Tourenplanung zu etwa 80 Prozent auf der mathematischen Optimierung und zu etwa 20 Prozent auf KI“, sagt Sonnleitner. „Das wird oft falsch eingeschätzt. Um das mal runterzubrechen: Jeder Disponent hat eine Reihe von Bedingungen im Kopf, die er miteinbeziehen muss. Fahrer X muss am Freitag in Köln sein. Auftrag Y ist zeitkritischer als Auftrag Z und so weiter. Je mehr Bedingungen auftauchen, desto schwieriger wird es, die optimale Lösung zu finden und desto wichtiger wird die mathematische Optimierung. Maschinelles Lernen spielt seine Stärken bei der Prognosefähigkeit aus. Denn dann geht es darum, in den historischen Daten Muster zu entdecken, die eine möglichst weitreichende Vorhersage gestatten.“
Investitionen ausbauen
Wie drastisch aber fällt der Effekt aus, den KI auf Transport und Logistik haben wird? „Von einer Revolution zu sprechen wäre in meinen Augen übertrieben“, sagt Sonnleitner. „Dafür ist die Lücke zwischen Forschung und Unternehmen momentan noch zu groß. Aktuell scheint mir, dass das Investitionsvolumen in KI zur Automatisierung von Entscheidungsprozessen deutlich ausbaufähig ist. Deshalb gibt es auf der Unternehmensseite meist noch zu wenig Fachkräfte, die es für die Einbindung von KI braucht.“ Denn deren Grundlage sind in jedem Fall saubere Stammdaten. „Und ohne Kenntnis davon, was sich überhaupt automatisieren lässt, können natürlich auch nicht die richtigen Datensätze gepflegt werden.“
Dennoch, die Entwicklung der Computer- und Softwareleistung hat zu einer massiven Steigerung der Lösungsgeschwindigkeit geführt. „Neu ist zum Beispiel, dass es jetzt möglich ist, aus einer sehr großen Zahl von Datenreihen gleichzeitig zu lernen. KI wird immer wichtiger, gerade auch vor dem Hintergrund der immer komplexeren Anforderungen des Logistikwesens. Fachkräftemangel, steigende Maut, Dekarbonisierung – es gibt viele Herausforderungen. Unternehmen sind gut beraten, in die moderne Digitalisierung einzusteigen, damit sie nicht irgendwann das Nachsehen haben. Man sollte sich immer vor Augen halten: Entscheidungsprozesse sind eine ideale Spielwiese der Automatisierung.“