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Hallo Herr Müller, wo erreiche ich Sie gerade?
Im Büro, in den heiligen Hallen. Mein Sohn hat mal vor einigen Jahren gesagt: Der Papa, der wohnt ja im Büro.
Sie sind nicht nur namentlich in die Fußstapfen Ihres Vaters getreten – war es Ihr ausdrücklicher Berufswunsch oder war es eine Selbstverständlichkeit, im Unternehmen Ihres Vaters anzufangen?
Namentlich nur zum Teil, denn mein Vater hieß mit Vornamen Heinz, Richard war mein Großvater. Mit der Spedition bin ich aufgewachsen. Wenn ein elterliches Unternehmen einfach immer da ist, dann macht man sich als Kind oder auch als Heranwachsender gar nicht so viele Gedanken, was die spätere Berufswahl angeht. Darüber habe ich mich auch schon oft mit Freunden und Bekannten unterhalten, die genauso wie ich mit einem elterlichen Betrieb groß geworden sind. Das gehörte zum täglichen Leben dazu, und für mich war irgendwann klar: Das mache ich später auch mal.
Konkret: Wie sah Ihr beruflicher Werdegang aus?
1973 sind wir an unseren jetzigen Standort in Gelnhausen gezogen, und zu diesem Zeitpunkt habe ich schon meinen Gabelstaplerführerschein gemacht (lacht). Ein älterer Fahrer meinte zur mir: ‚Hier Bub, setz dich mal auf den Stapler, und wir fahren mal rum, ich zeige dir, wie das geht.‘ Im Anschluss sagte er: ‚So, jetzt hast du auch deinen Staplerschein.‘ Und ich war natürlich mächtig stolz. Nach dem Abitur war ich zunächst Wehrdienstleistender in Hann. Münden in Niedersachsen, für mich kam das fast einem Auslandseinsatz nahe. Natürlich habe ich in dieser Zeit meinen 2er-Führerschein gemacht. An meinem 21. Geburtstag durfte ich ihn an der Zulassungsstelle abholen.
Schließlich war ich auf der Berufsakademie in Mannheim. Voraussetzung war nicht nur die allgemeine Hochschulreife, sondern auch ein parallel laufender Ausbildungsvertrag bei einem Mitgliedsbetrieb der Berufsakademie.
Mein Vater sagte immer: Du gehst zur Ausbildung in jedem Fall woanders hin, denn hier bist du noch lange genug. 1989 war ich fertig, und zu diesem Zeitpunkt wartete mein Vater bereits auf mich: ‚Ich brauche hier Unterstützung.‘ Das war für mich der Startschuss im elterlichen Betrieb. So bin ich mit langsamen Schritten hier reingewachsen. Denn einfach war’s nicht immer: Viele haben zwar gesagt: ‚Okay, das ist jetzt der Juniorchef‘ – ohne Unterton. Und bei manchen schwang da sehr deutlich ein skeptischer Unterton mit. Damit musste ich erstmal zurechtkommen.
Und nach Ihrem Einstieg in den elterlichen Betrieb, wie wurden die Aufgaben aufgeteilt?
Am Anfang haben wir viele Dinge synchron gemacht, ich bin sozusagen mitgelaufen, damit ich nicht nur die Theorie, sondern auch die Praxis im täglichen Ablauf kennenlerne. Im laufenden Betrieb lernte ich, mein Verhalten an die jeweilige Situation anzupassen. Da musste ich mir schon noch einiges aneignen, zum Beispiel im Bereich der Mitarbeiterführung, aber auch in der Interaktion mit Lieferanten oder Kunden. Bei fast allem, was ich heute kann und weiß, habe ich von dem umfangreichen Erfahrungsschatz meines Vaters profitiert.
Wer arbeitet aus der Familie noch mit?
Bis Ende 2008 haben mein Vater und ich im Prinzip zusammen das Unternehmen geführt. In den letzten Jahren kam er zwar morgens ein bisschen später und ging nachmittags früher, aber trotzdem war immer jemand da – für mich war das von Vorteil, ich konnte ohne Probleme Termine wahrnehmen, weil ich wusste, mein Vater ist vor Ort.
Seit seinem Tod 2008 ist es für mich nicht immer leicht, schließlich waren wir die meiste Zeit zusammen im Unternehmen. Und es gibt heute noch Situationen, da hätte ich ihn gerne bei mir – besonders, wenn mal eine andere Meinung gefragt ist oder einfach ein anderer Blickwinkel guttun würde.
Seit 1990 arbeitet meine Frau Corinna mit, sie ist hauptsächlich für Controlling/Buchhaltung verantwortlich. Den größten Teil macht sie allerdings von zu Hause aus. Und was meine beiden Kinder angeht, meinen Sohn und meine Tochter, da wird die Frage einer möglichen Nachfolge momentan noch ausgespart.
Wie groß ist aktuell der Fuhrpark, bzw. wie viele Nutzfahrzeuge haben Sie?
Wir sind aktuell bei 30 Fahrzeugen. Wir sind ja nicht nur im Güterkraftverkehr aktiv, wir sind in erster Linie eine Spedition. Insgesamt beschäftigen wir 65 Mitarbeiter, davon sind 36 Fahrer. Wir haben aber auch noch, zum Glück, einen sogenannten Rentnerpool. Das sind ehemalige Mitarbeiter, die in Altersrente gegangen sind und meist schon ein halbes Jahr vor dem Rentenbeginn dem Disponenten gesagt haben: ‚Wenn du mal einen Fahrer brauchst, dann ruf mich an.‘
Zwei Jahre Pandemie und seit Februar UkraineKrieg, haben Sie davon etwas gespürt?
Eigentlich lautet die Antwort: Nein. Wir haben einen festen Kundenstamm, der sich über die Jahre entwickelt hat.
Und gerade im normalen Sammelgutverkehr war im Frühjahr einiges mehr los als normalerweise. Dadurch war die Situation sehr angespannt, denn uns hat einfach der Platz gefehlt. 1.000 Quadratmeter mehr wären zu diesem Zeitpunkt optimal gewesen. Teilweise wussten wir nicht mehr, wohin mit den Sendungen. Der Ukraine-Krieg hat sich eher im Bereich der ,unverpackten‘ bzw. der ,losen Ware‘ bemerkbar gemacht. Wir haben ja auch noch mit Tankzügen zu tun. Der Tankzugverkehr, den wir nach Russland hatten, mussten wir seit Ende Februar zunächst extrem reduzieren und schließlich durch weitere Sanktionen auf null setzen, obwohl es sich um deutsche Auftraggeber und keine russischen Firmen handelte.
Ein Blick in die Zukunft – vor welchen Herausforderungen wird die Transport- und Logistikbranche Ihrer Meinung nach in den nächsten zehn Jahren stehen?
Leider hat keiner eine Glaskugel, die einen verlässlichen Blick in die Zukunft erlaubt oder zeigt, wie eine weitere Entwicklung aussehen könnte. Und es gibt ja den schönen Spruch, der immer wieder unterschiedlichen Autoren zugeschrieben wird: ,Prognosen sind schwierig zu erstellen, insbesondere, wenn sie die Zukunft betreffen.‘ Der Fahrermangel wird uns mit Sicherheit weiter beschäftigen, ebenso wie extreme Konjunkturschwankungen.
Gut, dann folgende Frage: Was wünschen Sie sich zukünftig für die Branche?
Nur einen Wunsch oder mehrere? Dann müsste man jetzt wissen, an welcher Stelle man die Prioritäten setzt …(lacht). Zunächst braucht man genug Fahrer, um die stetig anwachsende Gütermenge auch transportieren zu können. Autonomes Fahren mag in diesem Zusammenhang zwar ein interessantes Thema sein, aber was passiert, wenn der Lkw ohne Fahrer unterwegs ist und sich an der Be- bzw. Entladestelle befindet? Das ist aktuell schon schwierig, da dort oft zu wenig Personal vorhanden ist und so wird in
den meisten Fällen an den Ladestellen erwartet, dass der Fahrer mitarbeitet.
Ganz zum Schluss, Herr Müller, bitte vervollständigen Sie den folgenden Satz: Das Leben ist zu kurz, um …
… in Dogmen verhaftet zu bleiben und nicht in der Lage zu sein, sich auch mal zu verändern oder sich auf neue Situationen einstellen zu können.
Herzlichen Dank für das nette Gespräch, Herr Müller.
Zur Person:
Immer dicht am Markt – das ist das Motto des Unternehmens Richard Müller GmbH & Co. KG, Internationale Spedition, Lagerung und Zollabfertigung, in Gelnhausen. Geschäftsführer Richard Müller ist bereits die dritte Generation, die als moderner Logistikdienstleister seit fast 90 Jahren maßgeschneiderte Konzepte für ihre Kunden entwickelt. Richard Müller, 57 Jahre, ist seit 16 Jahren im Aufsichtsrat der SVG Hessen eG.