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Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung: Zahlreiche Fachkräfte fehlen der deutschen Wirtschaft und die demografische Entwicklung verheißt keine Besserung. Gleichzeitig stehen Unternehmen vor den Herausforderungen, ihr Geschäft weiter zu digitalisieren und ihren CO₂-Fußabdruck zu verkleinern.

So viele Menschen wie noch nie arbeiteten 2023 in Deutschland: 45,9 Millionen Menschen standen in dem Jahr in Lohn und Brot. Dennoch konnten über 570.000 Stellen nicht besetzt werden. Und weil die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer in den kommenden Jahren in Rente gehen, dürfte sich die Fachkräftelücke zukünftig noch vergrößern.

49 Mrd. Euro hat die deutsche Wirtschaft 2023 durch fehlende Fachkräfte nicht erwirtschaftet.

2027 könnten die Kosten des Fachkräftemangels schon bei 74 Milliarden Euro liegen, schätzt das IW. Von einer „doppelten Wachstumsbremse“ durch Fachkräftemangel einerseits und den strukturellen Herausforderungen andererseits spricht die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK). Auch wenn die Personalnachfrage infolge wirtschaftlicher Schwäche sinkt, finden die Betriebe, die Mitarbeiter einstellen möchten, nicht die gesuchten Qualifikationen.

Die falschen Qualifikationen

Die DIHK spricht von einem „Mismatch“-Problem. 43 Prozent der im Rahmen des DIHK-Fachkräftereports befragten Betriebe gaben an, offene Stellen nicht besetzen zu können. Die strukturellen Entwicklungen können ihrerseits dieses „Mismatch“ noch weiter vergrößern. Die Bundesregierung schätzt, dass sich im Zuge der Digitalisierung bis 2030 das Tätigkeitsprofil von mehr als jedem dritten Beruf grundlegend wandeln wird.

Unter den Berufsbildern mit den größten Fachkräftelücken befinden sich vor allem solche aus dem sozialen und gesundheitlichen Bereich. Mit dem Sanitär-, Heizungs- und Klimabau ist aber auch eine Branche darunter, die sich ganz praktisch mit der Umsetzung der Energiewende befasst; Stichwort: Photovoltaik und Wärmepumpen.
Auch IT-Experten, die die Digitalisierung praktisch vorantreiben können, und auch Berufskraftfahrer im Güterverkehr finden sich unter den zehn meistgesuchten Berufen.

Potenziale für den Arbeitsmarkt heben

Die Fachkräftestrategie der Bundesregierung hat verschiedene Bevölkerungsgruppen identifiziert, die Potenziale zur Vergrößerung der Arbeitsbevölkerung darstellen. Auch wenn Deutschland mit 76,8 Prozent eine der höchsten Erwerbstätigenquoten von Frauen in Europa hat, könnte angestrebt werden, noch mehr Frauen für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. Unternehmen können auch versuchen, ältere Mitarbeiter jenseits des regulären Rentenalters an sich zu binden.
Durch die Qualifizierung von An- und Ungelernten könnte nach einer Untersuchung des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA) die Fachkräftelücke rechnerisch um etwa 83.000 reduziert werden. Auch das Anwerben internationaler Fachkräfte und die Qualifizierung geflüchteter Menschen können helfen, den Fachkräftemangel zu reduzieren.

Die Situation in Transport und Logistik

Betrachtet man den Straßengüterverkehr isoliert, stellt sich der Mangel an qualifiziertem Fachpersonal als dramatisch dar. Das zeigt die Konsortialstudie „Begegnung von Kapazitätsengpässen in der Logistik mit Schwerpunkt Fahrpersonal“. Unter der Leitung von Professoren der Universität St. Gallen/Schweiz, der TU Dresden und der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt haben sich Unternehmen wie die KRAVAG und Verbände wie der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) daran beteiligt.

Um 20.000 Fahrer werde der Fahrermangel pro Jahr steigen, so die Studie. 70.000 Fahrer fehlten im Jahr 2023. Insgesamt 40 Faktoren hat die Studie identifiziert, die für diesen Fahrermangel verantwortlich sind. Darunter sind unter anderem: zu geringe Bezahlung, mangelnde Wertschätzung, Leistungsdruck, unzureichende Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie Stress aufgrund von Baustellen oder von Parkplatzmangel.
Dagegen empfiehlt die Studie fünf Hauptmaßnahmen:

  1. Ausbau von Rast- und Parkanlagen
  2. mehr Lang-Lkw
  3. Führerschein mit 17
  4. eine Initiative zur Verbesserung des Berufsimages
  5. vereinfachte Berufsanerkennung von Fahrpersonal aus Drittstaaten

Was eine Befragung des Fahrpersonals im Rahmen der Studie erfreulicherweise auch gezeigt hat: sobald sich Menschen für den Beruf des Kraftfahrers entschieden haben, besteht unter ihnen überwiegend die Überzeugung, die richtige Wahl getroffen zu haben.

Lösung: Autonomes Fahren?

Schon lange spukt es durch Technologie- und Branchendiskussionen:
das autonome Fahren. Und auch wenn es vom Alltagseinsatz wohl noch entfernt ist, gibt es inzwischen deutliche Fortschritte. MAN hat etwa eine Genehmigung erhalten, autonomes Fahren des Level 4 (hochautomatisiertes Fahren, unter bestimmten Bedingungen fährt das Fahrzeug autonom) auf deutschen Autobahnen zu testen. Daimler testet seit Längerem in den USA und will die Technologie 2027 auf den Markt bringen. Doch kann die Technologie helfen, den Fahrermangel zu reduzieren?

Die Mobilitätsstudie 2024 des Automobilzulieferers Continental, der 2027 selbst ein autonomes System auf den Markt bringen will, geht davon aus. Marktteilnehmer der Studie in Deutschland, China, Frankreich, Japan und den USA erwarten positive Auswirkungen auf den Fahrermangel. Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), ist hingegen skeptisch. Wie autonome Fahrzeuge mit kritischen Situationen wie Netzausfall oder Extremwetterereignissen umgingen, sei noch völlig unklar. Fraglich ist außerdem, ob klein- und mittelständische Transportunternehmen überhaupt die Kapazitäten haben, die Technologie zu testen und im Regelbetrieb einzuführen.

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