Credit: Polizeipräsidium Westhessen

„Achtung, Unfall mit einem Lkw und mehreren Pkws auf der A5 Richtung Darmstadt, aktuell ist nur ein Fahrstreifen befahrbar, die Unfallstelle wird geräumt“. Eine Verkehrsmeldung, die, so oder ähnlich, fast jeden Tag während der Hauptverkehrszeit im Radio zu hören ist. Das ist zumindest die Wahrnehmung vieler Verkehrsteilnehmer. Korrekt oder nicht? Wir haben bei Christian Wiepen, Polizeihauptkommissar aus dem Polizeipräsidium Westhessen nachgefragt.

Ist es nur eine subjektive Wahrnehmung, die sich in den Köpfen vieler – womöglich aufgrund der Berichterstattung – manifestiert hat, oder passieren nachweislich mehr Lkw- als Pkw-Unfälle?
Das ist absolut korrekt, es ist eine subjektive Wahrnehmung. Wir haben nach wie vor weitaus weniger Lkw-Unfälle als Pkw-Unfälle, das ist statistisch erwiesen. Warum es sich in den Köpfen vieler anders darstellt, ist leicht nachvollziehbar: Die Lkw-Unfälle haben einen massiveren Einfluss auf Verkehrsstörungen. Wenn zwei Autos ineinander knallen, liegt eventuell ein bisschen Plastik auf dem Asphalt, die Pkws fahren an die Seite, und der Verkehr kann weiter fließen. Bei LkwUnfällen haben wir im schlimmsten Fall Ladung, die sich auf der Fahrbahn verteilt hat. Und beispielsweise einen Lkw abzuschleppen, der nicht mehr fahrtüchtig ist, das ist nicht so einfach. Es muss die Bremse entlüftet und die Kardanwelle müssen ausgebaut werden, sonst bekommt man einen Lkw nicht von der Stelle. Das bedeutet, ein Abschlepper muss kommen, der ein passendes Druckluftsystem hat. Das ist insgesamt sehr zeitaufwändig. Die Folge sind vollständige oder teilweise Sperrungen, Staus sind dann gerade in der Hauptverkehrszeit unvermeidbar.

Sie haben Statistiken angesprochen –was sagen die Zahlen?
Ja, ich habe mir das mal angeschaut: In den vergangenen fünf Jahren waren es in Westhessen 3.800 Lkw-Unfälle, das sind nie mehr als 700 bis 800 Unfälle pro Jahr. Im Vergleich: Pkw-Unfälle belaufen sich auf rund 2.500 pro Jahr.

Warum sind in den Verkehrsnachrichten, besonders während der Rushhour, Lkw-Unfälle an der Tagesordnung?
Das ist leicht zu erklären, je mehr Verkehrsteilnehmer, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Unfällen kommt. Gerade im Feierabendverkehr sind zusätzlich die meisten bestrebt, schnell an ihr Ziel, beziehungsweise nach Hause zu kommen, das gilt für Pkw-Fahrer gleichermaßen. Viele Fahrer wechseln oft und schnell die Fahrbahnen, ohne Rücksicht auf die Lkw-Fahrer zu nehmen. Nach der Statistik liegt der Höhepunkt der Rushhour im Feierabendverkehr bei 17 Uhr. Das ist die Zeit, in der Lkw-Fahrer höllisch aufpassen müssen und in der die meisten Unfälle passieren – also gar nicht mal unbedingt morgens.

Was denken Sie sind die häufigsten Ursachen für Unfälle mit Lkws? Aufmerksamkeitsdefizite, Ablenkung, Übermüdung, Drogen, der schnelle Blick aufs Handy?
Eine der häufigsten Ursachen, die wir beobachten, und die zu Unfällen führen, sind nicht eingehaltene Sicherheitsabstände. Viele Berufskraftfahrer nutzen die vorhandenen Abstandssysteme nicht und schalten sie womöglich sogar während der Fahrt aus, damit sie im Verkehrsfluss gemütlicher mitfahren können. Denn ein eingeschaltetes Sicherheitssystem bremst jedes Mal, wenn beispielsweise ein Pkw in den Sicherheitsabstand reinfährt – und das passiert nun mal gerade in den Hauptverkehrszeiten ziemlich oft. Eine weitere Ursache, wie gerade angesprochen, ist der Fahrstreifenwechsel:
Das gilt für beide Verkehrsteilnehmer, den Lkw-Fahrer und den Pkw-Fahrer. Wenn sie den Fahrstreifen wechseln müssen, kommt es häufiger zu Unfällen. Denn ein Lkw hat einen riesigen toten Winkel, das muss man sich bewusst machen. Eine komplette Schulklasse passt in diesen „Totwinkel“. In Frankreich gibt es dazu Aufkleber, die „Angles Morts“, die hinten rechts und links am Lkw angebracht werden müssen. Sie sehen zwar ein bisschen albern aus, dadurch werden aber andere Verkehrsteilnehmer gewarnt, dass es beim Lkw den „toten Winkel“ gibt und sie aus diesem Grund aufmerksamer sein müssen. Die „Angles Morts“-Schilder sind in Frankreich Pflicht, auch für Wohnmobile und müssen bei der Durchfahrt angebracht werden. In Deutschland gibt es eine solche Verordnung noch nicht.

Die häufigsten Unfallursachen:

  • fehlerhafter Fahrstreifenwechsel oder Reißverschlusssystem-Missachtung
  • ungenügender Sicherheitsabstand
  • Fehler beim Wenden oder Rückwärtsfahren
  • technische Mängel, Wartungsmängel: Reifen
  • unzureichend gesicherte Ladung
  • Geschwindigkeitsüberschreitung
  • Fehler beim Überholen

Zählt überhöhte Geschwindigkeit auch zu den Unfallursachen?
Ja, ganz klar, eine überhöhte Geschwindigkeit ist durchaus eines der Probleme. Die Fahrer halten sich nicht an Geschwindigkeitsbegrenzungen und dadurch kommt es in manchen Bereichen durch die Geschwindigkeitsüberschreitungen zu Unfällen. Ein weiteres Problem: Wenn Einzelfahrer unterwegs sind und rückwärtsfahren oder wenden müssen. Ist kein weiterer Fahrer dabei, der ihn einweisen kann, dann kommt es schon des Öfteren zu Unfällen.

Und wie sieht es mit Alkohol oder Drogen aus?
Drogen eher weniger, aber Alkohol spielt beispielsweise bei Abfahrtskontrollen, gerade sonntags, eine große Rolle. Da fallen besonders die osteuropäischen Fahrer mit wahnsinnigen Alkoholwerten auf. Viele sagen zwar dann, dass sie eh noch nicht losfahren wollten. Wir verhindern aber mit Sicherheit in diesen Fällen eine Abfahrt. Bei solchen Kontrollen haben wir schon Werte zwischen 3,0 oder sogar mehr als 4,0 Promille gemessen. Wer solche Werte hat und noch lebt, das deutet auf einen regelmäßigen und überhöhten Alkoholkonsum hin.

Gibt es Möglichkeiten, Fahrer noch besser zu schulen oder sie auch zu „entlasten“, damit die Unfallhäufigkeit zurückgeht?
Unternehmer sollten ihre Fahrer immer wieder instruieren, dass sie die Abstandsysteme nutzen und sie nicht womöglich ausschalten. Gefragt sind auch die Disponenten, sie können bei der Planung darauf achten, dass Fahrer, die regelmäßig die gleiche Tour fahren, beispielsweise Rast an Autohöfen machen können, die Ruhe und einen erholsamen Schlaf garantieren.
Auch ein regelmäßiges Fahrsicherheitstraining, wenigstens einmal im Jahr, sollte dazu gehören. In den Trainings können sich Lkw-Fahrer vergegenwärtigen, wie eine adäquate Reaktion in einer Gefahrensituation auszusehen hat. Und vor allem: Wie man Gefahrensituationen vermeiden kann.

Warum fangen Lkws bei Unfällen oft an zu brennen?
Zum Glück passieren diese Unfälle nicht so häufig wie man denkt, sie bleiben einem nur nachhaltiger im Gedächtnis. Lkw-Unfälle, bei denen es zu einem Feuer kommt, haben ein enormes Ausmaß. Die Hitzeentwicklung ist bei einem brennenden Lkw weitaus höher als bei einem brennenden Pkw. Oft müssen in der Folge Straßen neu gemacht werden. Lkw fangen übrigens bei Unfällen deshalb leichter Feuer, weil der Tankbehälter im Vergleich zum Pkw relativ ungeschützt liegt.

Fahrsicherheitstraining


Auch wenn die Zahlen seit einigen Jahren rückläufig sind, es gibt immer noch Unfälle mit Personenschaden, an denen mindestens ein Güterkraftfahrzeug beteiligt ist. Das SVG Fahrschulzentrum Südwest bietet spezielle Seminare für professionelle Kraftfahrer an, bei denen die Sicherheit beim Fahren und die technischen Hilfsmittel zum Thema gemacht werden. Das Training vermittelt die grundlegenden Anforderungen der Fahrphysik und -sicherheit. Anhand von visuellem Schulungs- und Informationsmaterial werden den Teilnehmern die aktiven bzw. passiven Grundregeln der Fahrsicherheit erklärt, wie beispielsweise:

  • bremsen
  • schneller Spurwechsel
  • ausweichen bei Hindernissen und unterschiedlichen Fahrbahnbelägen
  • Beherrschung des Fahrzeugs in Gefahrensituationen
  • Gefahren und Risiken im Straßenverkehr richtig einschätzen
  • Grenzen der Gefahrenbewältigung erkennen
  • gefährliche Situationen frühzeitig erkennen und vermeiden.
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