Credit: Spedition Schanz
Im Rahmen des zukunftsweisenden Projekts Elisa ist Thomas Schmieder täglich bis zu viermal zwischen Ober-Ramstadt und Frankfurt unterwegs. Der Fahrer der Spedition Schanz transportiert Produkte des Farbenherstellers DAW. Das Besondere seines Jobs: Auf einem Teil der Autobahnstrecke an der A5 nutzt sein Hybrid-Lkw nicht den klassischen Dieselantrieb, sondern dockt sich an die Oberleitung an und fährt mit aufgenommenen Elektroenergie. Redakteur Rainer Lomen hatte die Gelegenheit, den Fahrer zu begleiten.
Meine Armbanduhr zeigt 11.37 Uhr. Über das elektronische System seiner Spedition gibt Schmieder das Startsignal der neuen Tour ein, der dritten an diesem Tag. Draußen ist es leicht diesig. Los geht’s. Die 38 Tonnen zieht der Elektromotor an, als wäre es ein Kinderspiel. Vom Schanz-Gelände aus rollen wir im Schritttempo hinaus auf die Straße, die sich bergab in Richtung Eberstadt schlängelt. Wer Weg führt durch das Wohngebiet, dann auf die auf die Autobahn. „Im Moment verbraucht der Lkw nichts. Wir fahren elektrisch“, erklärt Schmieder.
Power ab dem ersten Meter
Während das Dieselaggregat 450 PS auf die Straße bringt, sind es beim Elektromotor gerade mal 177 PS, aber knackige 1.200 Newtonmeter. Ab der ersten Umdrehung stellt der das volle Drehmoment zur Verfügung – und ermöglicht ein beachtliches
Starttempo, selbst bei 38 Tonnen Gewicht. Ist das Gefährt auf Touren gekommen, steigt der Dieselmotor mit ein und sorgt so für den optimalen Verbrauch.
Wir passieren den 1.200 Meter langen Tunnel, der Ober- und Nieder- Ramstadt verbindet. Die Schilder weisen in Richtung Autobahn. Dann führt ein kurzer Abschnitt bergan. Schmieder wechselt auf manuellen Betrieb und aktiviert den Kick-Down.
Zugleich schaltet sich der Elektromotor quasi als Boost hinzu, und das Fahrzeug verliert kaum an Geschwindigkeit.
Dort, wo jeder andere Lkw bei voller Ladung deutlich zurückfallen und den Berg hinaufschleichen würde, zeigt sich die technische Innovation putzmunter und stürmt dem Gipfel entgegen. Rechts unterhalb des Lenkrads befinden sich zahlreiche Knöpfe und
Schalter. Wo beim „normalen“ Lkw der sogenannte Retarder aktiviert wird und den verschleißfreien Bremsvorgang einleitet, lässt sich aus dem Elektromotor Energie ziehen, die dazu führt, dass der Motor den Lkw abbremst. So wird die Batterie mit neuem Saft gespeist, also geladen.
Big brother fährt stets mit
Wir haben die Autobahn erreicht. Es geht am nächsten Schild vorbei – nach Heidelberg oder Richtung Frankfurt. Wir biegen rechts ab und rollen auf die Mainmetropole zu. Zu seiner ersten Tour Richtung Frankfurt bricht Schmieder in der Regel gegen 5.00 Uhr morgens auf. Dann ist normalerweise „noch wenig los auf der Gass“. Um 06.00 Uhr, so lautet die Vereinbarung mit dem Kunden, muss der erste Trailer bei Schenker sein. Auch der Rückweg, der im Zeitfenster zwischen 06.15 und 08.30 Uhr läuft, gestaltet sich
trotz des Berufsverkehrs zumeist entspannt.
Das gilt nicht für den folgenden Transport. „Auf der zweiten Tour muss ich häufig überlegen, welche Strecke ich fahre“, berichtet Schmieder. Die Ausweichstrecken führen etwa über die Bundesstraße 26 in Richtung Dieburg sowie Offenbach. Bis zu zehn Minuten mehr nimmt die Alternative dann in Anspruch. Mit 83 Stundenkilometer sind wir nun unterwegs. „Situationsbedingt
geht es nicht schneller“, bedauert der Mann am Lenkrad. Auf der A5 kommt Frankfurt näher. Vorbei an der Abfahrt Frankfurt-Griesheim, dann passieren wir das Loop5-Einkaufszentrum sowie die Abfahrt Weiterstadt/Darmstadt-Nord. Flüssig rollt der Verkehr nun auf der vierspurigen Straße. Schmieder schaltet den Tempomat ein, mit 80 km/h geht es entspannt voran. Lenken ist angesagt.
Und auf die passende Distanz zum Vordermann muss der Fahrer achten. Denn: Einen automatischen Abstandsregler hat der Lkw nicht (mehr). Zu tun hat das damit, dass die dafür notwendige Kamera entfernt wurde. Denn der Pantograf verlangt so viel Energie,
dass das elektronische Auge weichen musste. „Wäre die Kamera im Einsatz, würde das System überlastet“, fasst Schmieder zusammen. Keine Frage, Big Brother is watching. Alle 30 Sekunden sendet der Lkw seine aktuellen Daten an Siemens, Scania und die Technische Universität Darmstadt. Der Fahrer schmunzelt: „Wenn das Fahrzeug mal in einen Unfall verwickelt würde und die Beweisfrage wäre zu führen, so könnten wir sämtliche Daten minutiös ins Feld führen!“
Reset wie beim normalen PC
Jetzt wird es spannend. Vor uns liegt der Oberleitungsabschnitt, eine per GPS überwachte Zone. Schmieder muss sich die offizielle Freigabe einholen. Kein Problem, binnen weniger Sekundenbruchteile kommt das Okay. Der Fahrer drückt einen Knopf und fährt den Stromabnehmer aus.
An den Vibrationen der Oberleitung nimmt Schmieder wahr, dass der Pantograf Kontakt aufgenommen hat. Doch Fehlanzeige. „Kein Saft auf der Leitung. Das System ist ausgefallen“, konstatiert Schmieder enttäuscht und lenkt den Lkw rechts ’raus auf
den Rastplatz Gräfenhausen. Für 30 Sekunden schaltet er den Motor aus. Ähnlich dem Reset beim Computer soll das System wieder hochfahren. Soviel zur Theorie. Neuer Versuch. „Schaun mer mal“, seufzt der Fahrer. Schmieder startet den Lkw erneut und setzt das Gefährt in Bewegung. Behutsam fährt er an und fädelt auf der rechten Spur ein. Unter der Oberleitung angekommen, lässt er den Pantografen andocken. Ohne Erfolg. Also am Parkplatz Bornhof wieder herunter. Weiterer Startversuch. Telefonisch
nimmt Schmieder Kontakt zu seinem Scania-Ansprechpartner Roland Reiner in Offenbach auf, erläutert ihm die Fehlermeldung und stimmt das weitere Vorgehen ab. Dann endlich klappt es.
Allzu lang währt die Erfolgsphase nicht mehr, aber immerhin. Am Ende der Oberleitungsstrecke fährt Schmieder den Pantografen ein und zeigt sich kleinlaut. „Von den zehn Kilometern sind wir nur einen kleinen Teil elektrisch gefahren“, räumt er ein. In den vergangenen zwei Wochen sei der Fehler häufiger aufgetreten, erklärt der Mann aus dem Erzgebirge. Ob das mit der kürzlich vorgenommenen Wartung des Pantografen zusammenhängen könnte? Schmieder zuckt mit den Schultern.
Demnächst, so seine Hoffnung, stehe ein Software-Update auf dem Programm. Danach sollte die Sache wieder runder laufen. „Wenn ein Fehler auftritt, dann betrifft das zumeist die Strecke Richtung Frankfurt“, berichtet er. In Richtung Darmstadt läuft die Sache viel besser. Woran das liegt? „Keine Ahnung“, so der Fahrer. Das herauszufinden, sei Sache der Ingenieure.
„In zwei Stunden mehr los“
Die Uhr zeigt 12.17 Uhr. Wir passieren die Ausfahrt Zeppelinheim. Es geht bergab, Schmieder lässt sein Fahrzeug quasi ausrollen, der Motor schaltet sich ab, und der Lkw fährt elektrisch. Kein Motorgeräusch ist zu hören.
Vorbei führt der Weg an der Cargo-City Süd des Flughafens, wo sich Schmieder fast zehn Jahre um Luftfracht gekümmert hat. Wir nehmen den Rastplatz Stadtwald wahr und erreichen kurz darauf die A3, wo der Verkehr dichter wird. Schmieder bedeutet einem holländischen Kollegen aus Boxmeer via Lichthupe, dass er auf die Autobahn auffahren kann. Von der A3 wechseln wir am Offenbacher Kreuz auf die A661. Schmieder bremst ab, hier sind maximal 80 Stundenkilometer erlaubt.
Wir fädeln ein auf die A661 in Richtung Oberursel sowie Bad Homburg und passieren die Abfahrt Offenbach/Taunusring Süd. „In zwei Stunden wird es hier deutlich voller sein“, blickt der Transport-Profi voraus. Er weiß, dass ihn auf seiner letzten Tour des
Tages der Berufsverkehr stärker in Sachen Konzentration fordern wird. Mit elektrischer Energie gleiten wir durch Offenbach. Im Hafenviertel wird intensiv gebaut. Vorbei an Schule, Kindertagesstätte und dem Parkhaus. Durch den Frankfurter Stadtteil Fechenheim fährt der Lkw elektrisch. Das Ziel kommt in Reichweite. Rechts liegt Aldi-Süd, links prangt das DHL-Logo. Um 12.37
Uhr, nach exakt einer Stunde Fahrzeit, schlägt Schmider das Lenkrad scharf links ein und biegt auf das Schenker-Gelände ein.
„Wenn’s gut läuft, brauche ich 55 Minuten. Ansonsten eine Stunde oder leicht drüber“, erklärt Schmieder. Nachdem er die Türen geöffnet hat, steuert er den Auflieger rückwärts an die Rampe. Ziel erreicht.
17 Kräfte aus sechs Nationen
Ein kurzes „Hallo“ ruft er Mitarbeiter Fabio Paterlini im Schenker-Büro zu, überreicht die Papiere und lässt sie abzeichnen. „Die Zusammenarbeit läuft gut. Das passt schon“, schmunzelt Leiter Jürgen Mock. Der kleine Mann mit dem ansteckenden Lachen spricht einen unüberhörbaren Frankfurter Akzent, der manches „er“ zum „ä“ werden lässt. Seit 30 Jahren ist Mock am Frankfurter Schenker-Standort aktiv, der ausschließlich für DAW arbeitet. Drinnen geht es zu wie im Bienenstock.
Mit irrer Geschwindigkeit sausen die Mitarbeiter – Deutsche, Rumänen, Ungarn, Russen, Polen und Pakistani – auf ihren Staplern
umher und kommissionieren einzelne Aufträge. 17 Kräfte kümmern sich im Zweischichtbetrieb um die Ein- und Ausgänge – 16 Männer und Linda, die einzige Frau. Die vier Hallen beinhalten insgesamt 8.000 Lagerplätze. Der Umschlag summiert sich auf 5.000
bis 6.000 Vorgänge pro Tag, 250 Euro-Paletten werden in 24 Stunden bewegt.
28 Paletten für Bitburg
Diesmal fährt Schmieder nicht mit einem leeren Auflieger zurück. 28 Paletten warten auf ihn, sie sollen nach Ober-Ramstadt zurück. „Kein Problem. Das Laden dauert 20 Minuten“, so der Fahrer. Es handelt sich um 25-Liter-Gebinde mit der Aufschrift „Easy Weiß“ sowie Acryl Weiß“, alle bestimmt für das Obi-Zentrallager in Bitburg. Schmieder verteilt die Ladung auf 18 Stellplätze im Auflieger. Da die Paletten unterschiedliche Höhen aufweisen, können sie nicht unmittelbar übereinander platziert werden.
Vielmehr ist eine zusätzliche Ebene im Laderaum einzuziehen. Schließlich wird das Ganze mit Stangen nach oben und zur Seite hin gesichert. Um 13.35 Uhr ist der Ladevorgang abgeschlossen, das Gesamtgewicht liegt nun bei 25,5 Tonnen. Schmieder gibt seine Meldung an die Disposition in Ober-Ramstadt und startet den Lkw für die Rückfahrt. Soweit der aktuelle Bericht. Mehr zur Rückfahrt lesen Sie in der nächsten Ausgabe des Hessischen Verkehrsspiegels.