Credit: privat, IHK Kassel-Marburg
Hallo Frau Jung, wo erreiche ich Sie gerade?
Ich sitze im Büro in der Spedition Jung. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich das Wahrzeichen Kassels, den Herkules.
ZUR PERSON
Petra Jung, 41 Jahre, Prokuristin bei der Jung Spedition GmbH. Sie arbeitet seit ihrem 28. Lebensjahr im Unternehmen ihres
Vaters mit und kümmert sich hauptsächlich um die Buchhaltung.
Die Jung Spedition steht seit 1911 mit ihrem Slogan Schnell und sicher ans Ziel für Qualität, Kompetenz, Zuverlässigkeit und
einen perfekten Service. Sie verfügt über 14 Gespanne (ausschließlich Actros mit Megatrailern), zusätzlich zwei Wechselauflieger und die Firmenautos
Seit 112 Jahren existiert die Spedition Jung als ein klassisches Familienunternehmen– können Sie uns die wichtigsten Steps nennen?
Puh, 112 Jahre Firmengeschichte kurz zusammenfassen? Das ist nicht so leicht. Mein Urgroßvater Paul Kleinhempel startete mit einem Unternehmen in Zwickau. Damals transportierte er Bier und Kohle mit Pferdekutschen.
In den Vorkriegsjahren fuhren dann bereits die ersten Lkws Paketverkehre von Zwickau nach Berlin. Mein Großvater Paul Jung nutzte 1950 einen Transport, um im Lkw gemeinsam mit seiner Familie über die deutsch-deutsche Grenze nach Kassel zu flüchten. Das Ziel war nicht von ungefähr gewählt worden, denn dort hatte mein Großvater Verwandtschaft. Er ließ meine Oma zusammen mit dem kleinen vierjährigen Eugen, meinem Vater, kurz vor der Grenze raus. Sie schwammen gemeinsam mit einem Schleuser, der Eugen auf die Schultern nahm, durch die Werra.
Wie ging es dann weiter?
In Kassel gründete mein Großvater zunächst in einem kleinen Hinterhof die „Nachfolge Spedition“. Eines der schwarz-weißen Fotos auf unserer Webseite zeigt den damaligen kompletten Fuhrpark, immerhin sieben Lkw, die in diesem Hinterhof in der Sternbergstraße Platz fanden. Die ersten drei Lkw hatten übrigens Namen: Eveline, Eugen und Jutta. Benannt nach den drei Kindern. Das waren mein Vater und meine beiden Tanten.
Ab wann vergrößerte sich das Unternehmen?
Durch das enorme Wirtschaftswachstum in den Nachkriegsjahren war der Hof bald zu eng, es musste mehr Platz her. Ab 1960 kauften meine Großeltern deshalb nach und nach in der Kohlenstraße Grundstücke auf, unter anderem die einer BP-Tankstelle, eines Bauunternehmens und dazu zahlreiche Gärten, um die Firma Stück für Stück zu erweitern. 1973 stieg mein Vater, Eugen, nach seinem BWL-Studium in die Firma mit ein. Als mein Großvater 13 Jahre später verstarb, wurde aus der Paul Jung Spedition die Jung Spedition GmbH.
Wo lagen damals die Kernkompetenzen der Spedition Jung und wo liegen sie heute?
Bis 1960 lag unsere Kernkompetenz eher im internationalen Verkehr. Da fuhren wir, ausgehend von Kassel Seehäfen und Wirtschaftszentren an, beispielsweise nach Belgien, Niederlande, Luxemburg. Heute sind unsere ,Rennstrecken‘ konzentriert auf unsere Stammkundschaft, die uns voll auslastet. Der Schwerpunkt liegt mehr im nationalen Nah- und Fernverkehr mit Lagerhaltung und Inhouse-Logistik. Spezialisiert sind wir besonders auf den Transport von Traktor und Automobilteilen, dazu gibt es spezielle Gestelle und Vorrichtungen, um die Ladung entsprechend sichern zu können. Das sind dann beispielsweise Teile, die zur Lackiererei gebracht werden müssen.
Müssen Sie noch Kundenakquise betreiben oder haben Sie eine Stammkundschaft?
Eine treue und vor allem zufriedene Kundschaft ist wichtig. Nicht ohne Stolz kann ich sagen: ,Unsere Leistung ist unsere Werbung!‘
Aus diesem Grund ist Akquise kaum noch nötig. Wir haben viele Stammkunden, die wir schon seit Jahrzehnten betreuen. Bei unseren Stammkunden punkten wir durch unsere Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Logistisch entsprechen wir immer wieder den Wünschen unserer Kunden. Die Kunden können sich darauf verlassen, dass wir zuverlässig und pünktlich arbeiten. Und wir beschäftigen nur deutschsprachige Fahrer.
Wie viele Fahrer beschäftigen Sie aktuell?
Aktuell haben wir 15 Fahrer und einen Azubi. Zum Glück ist die Fluktuation sehr niedrig. Ich habe das mal ausgerechnet: Die
Fahrer sind im Schnitt 15,3 Jahre bei uns. Der Altersdurchschnitt liegt bei unseren Lkw-Fahrern bei 53 Jahren. Den Azubi habe
ich rausgerechnet. Er hätte das Ergebnis sonst verfälscht (lacht). Umweltschutz und Nachhaltigkeit – Schlagworte, die sich auf Ihrer Webseite finden.
Was verbirgt sich dahinter?
Was das betrifft, war mein Vater schon immer ein großer Vorreiter und meist seiner Zeit weit voraus. Bereits 1985 ließ er Solarpaneele auf unsere Lagerhallen installieren. Das war damals die absolute Neuheit auf dem Markt. Parallel kaufte er ein Solarauto, einen umgebauten Subaru Justy. Mit dem Solarauto erledigte er im Stadtverkehr die anfallenden Bank- und Postwege. Allerdings kann ich mich gut daran erinnern, dass er des Öfteren abgeschleppt werden musste, weil das Auto liegen blieb. Damals war die Technik dann doch noch nicht so ausgereift. Mehr als 40 Kilometer am Stück schaffte das Solarauto nicht.
Aber auch heute bedeutet der Schutz der Umwelt im Rahmen der Möglichkeiten für uns sehr viel: Unser Fuhrpark ist auf dem
neuesten Stand, alle Lkw werden nach den aktuellen Umweltauflagen gekauft. Schließlich sind die Fahrzeuge unser Aushängeschild und aus diesem Grund immer top in Schuss.
In welchem Alter sind Sie in die Firma Ihres Vaters eingestiegen und war das geplant?
Ich war 28. Nach dem Abitur habe ich zunächst eine Ausbildung zur Biologisch-Technischen Assistentin gemacht und anschließend
in Göttingen mein Studium zur Diplom-Biologin abgeschlossen. Und: Nein, das war nicht geplant, aber manchmal geht das Leben eben andere Wege.
Sie haben eine Familie, hilft sie Ihnen, nach einem stressigen Arbeitstag zu entspannen?
Ich habe aktuell keinen Fulltime-Job, sondern arbeite meisten bis gegen 14 Uhr. Meine Zwillinge Paul und Erik, 9 Jahre, sind vormittags in der Schule beziehungsweise im Hort. Sie sind aber auch oft nachmittags hier im Betrieb auf dem Hof. Denn wo gibt es einen besseren Spielplatz, um Kettcar zu fahren und aus Paletten Häuser und Rampen zu bauen. Manchmal helfen die beiden den Fahrern aber auch beim Putzen der Lkws. Mal sehen, ob sie später die 5. Generation der Firma werden möchten. Opa Eugen ist auf jeden Fall sehr stolz auf seine beiden Enkelsöhne. Zeit mit meiner Familie zu verbringen, ist mir sehr wichtig. An den Wochenenden machen wir oft zu viert, gemeinsam mit meinem Mann Christoph, Ausflüge in der Region.
Ihr Mann wird zukünftig mit Ihnen zusammenarbeiten?
Ja, geplant ist, dass er mit mir gemeinsam in der Geschäftsleitung arbeitet, mein Vater fragte ihn kürzlich, ob er sich das vorstellen
könne. Deshalb sammelt er parallel zu seinem jetzigen Job in unserem Betrieb bereits erste Erfahrungen.
Und zum Schluss: Bitte vervollständigen Sie den Satz „Das Leben ist zu kurz, um …
… sich zwischen Pflichten und Terminen die gute Laune nehmen zu lassen.