Credit: Jordyn Fetter
Viele Unternehmer kennen das Problem: Der Lkw war über die Nacht nicht ausreichend bewacht oder parkte auf einem ungesicherten Gelände. Das Ergebnis: Die Plane ist beschädigt oder wurde geschlitzt, die Ladung gestohlen. Der HVS hat Christian Wiepen, Polizeihauptkommissar des Polizeipräsidiums Hessen, zum Thema Planenschlitzen befragt.
Laut dem Bundesamt für Güterverkehr (BAG) lag die Anzahl von Ladungsdiebstählen deutschlandweit bereits vor sieben Jahren in einem vierstelligen Bereich – wie sehen die aktuellen Zahlen aus?
Über die deutschlandweiten Zahlen kann ich keine Auskunft geben. In Hessen sind die Fälle stark rückläufig und zum Glück noch lange nicht wieder auf dem Niveau vor der Corona-Pandemie. Im Jahr 2021 verzeichneten wir in Hessen 50 Fälle mit Planenschlitzen. In Westhessen hatten wir in diesem Jahr bisher noch gar keinen Fall. Allerdings ist die Datenlage in diesem Deliktsfeld auch schwierig, da diese Art von Kriminalität nicht als eigenständiges Phänomen erfasst wird.
Werden denn alle Vorfälle gemeldet?
Leider ist die Dunkelziffer beim Planenschlitzen recht hoch. Viele Taten werden nicht angezeigt, insbesondere, wenn nach dem Aufschlitzen der Planen nichts weiter entwendet wurde, wird oft von Anzeigen abgesehen. Dies liegt sicher meist am Zeitdruck der Transportbranche. Viele verzichten aber womöglich auch auf eine Anzeigenerstattung, weil sie Imageschäden befürchten. Weitere Gründe für einen Verzicht auf eine Anzeige sind fehlende Versicherungen.
Wie sieht die Vorgehensweise der Diebe aus? Arbeiten sie mit einem weiteren Fahrzeug, in das sie die Ladung umladen? Gibt es spezielles Werkzeug?
Die Diebe sind meist in Banden unterwegs. Einer sucht nach lukrativen Lkw oder Aufliegern und checkt oft mit einem kleinen Sichtungsschnitt die Ladung. Wenn es sich lohnt, werden weitere Diebe nachgeordert. Einige Diebe nutzen Endoskop-Kameras, andere machen einfach größere Sichelschnitte in die Planen und haben so einen freien Blick auf die Ware. Wenn nur Kleinigkeiten geklaut werden, wird auch der Schnitt in der Plane zum Stehlen genutzt. Oft brechen die Diebe aber die Heckklappen komplett auf und räumen im Anschluss die gesamte Ladefläche leer. Die Ladung wird danach schnell auf den eigenen Transporter oder Lkw umgeladen.
Was bedeutet in diesem Zusammenhang „minimalinvasiv“?
Wie bereits bei der vorherigen Frage erklärt setzen die sogenannten Späher Endoskop-Kameras ein, dabei können sie bereits mit einem minimalen Schnitt die Ladung überprüfen. Geeignete Endoskop-Kameras gibt es mittlerweile günstig in jedem Baumarkt. Durch diese extrem kleinen Schnitte fallen die Täter nicht so schnell auf. Außerdem ist es so unverfänglicher, wenn ein Fremder am Auflieger steht und man nicht direkt eine Beschädigung an der Plane entdeckt. Besonders nachts fallen den Fahrern solche Schnitte an einer Plane eher nicht auf.
Welche Lkw, welche Ladungen sind besonders häufig „Opfer“?
Alles, was leicht umzuladen und schnell zu Geld zu machen ist, wird gestohlen. Am beliebtesten scheinen Elektroartikel zu sein. Schwere Ladung oder Teile, mit denen auf den ersten Blick nichts angefangen werden kann, werden von den Banden eher vernachlässigt.
Gibt es besondere Gegenden in Hessen, in denen häufiger als in anderen solche Vorfälle bekannt werden?
Natürlich sind die Raststätten an den Bundesstraßen oder Bundesautobahnen beliebt bei den Dieben. Man ist anonym, es gibt eine Geräuschkulisse, die ein Umräumen der Ladung erleichtert und man ist schnell geflohen. Aber auch verlassene Gewerbegebiete in der Nacht werden natürlich von solchen Banden genutzt. Besonders beliebt sind bei den Banden die Durchgangsautobahnen A3, A4 und A7.
Wie sieht Ihr genaues Vorgehen aus, wenn ein Fall von Planenschlitzen gemeldet wird?
Leider werden die meisten Fälle erst gemeldet, wenn die Täter schon lang verschwunden sind. So bleibt nur noch die Anzeigenaufnahme, Überprüfung der umstehenden Lkw nach möglichen weiteren Opfern und die Sicherung der Spuren. Wenn nun ein aktueller Fall rechtzeitig gemeldet wird, rückt die Polizei mit mehreren Streifenwagen an und versucht die Täter festzunehmen und die Fluchtwege abzuschneiden. Es gibt weitere Ermittlungsmöglichkeiten, die auch im Nachhinein noch greifen können, diese möchte ich aber an dieser Stelle nicht erklären.
Erfolgsquote: In wie viel Prozent der gemeldeten Fälle werden Täter gefasst? Kann die Ware in den meisten Fällen sichergestellt werden?
Das kann ich nicht pauschal beantworten. Auch hier verhindert die Datenlage eine konkrete Aussage. Aber die Erfolgsquote schwankt beim Ermitteln der Planenschlitzer. Wenn eine Tätergruppe gefasst wird, können infolge oft mehrere Taten aufgeklärt werden.
Welche Strafen drohen den Tätern?
Die Fälle werden meist als „schwerer Bandendiebstahl“ angezeigt. Hier droht bei Verurteilung eine Gefängnisstrafe von einem bis zu zehn Jahren.
Können Sie dem HVS die skurrilsten Fälle in diesem Zusammenhang nennen, die Sie erlebt haben?
Wirklich skurril war es nie, eher erschreckend. Erschreckend zu sehen, wie skrupellos die Diebe auf einer Raststätte Unmengen von Planen zerstört haben, nur um die Ladung zu begutachten. Das waren teilweise riesige Schäden ohne einen einzigen Diebstahl.
Schön war es natürlich, wenn Täter festgenommen werden konnten – sei es durch eigene Beobachtungen der Polizei oder durch rechtzeitige Anrufe von Fahrern. Meist ist es der erste Impuls, die Täter zu vertreiben. Besser ist es hingegen, Ruhe zu bewahren und verdeckt die 110 anzurufen. So ist die Wahrscheinlichkeit einer Festnahme viel höher.
Geben Sie den Unternehmen Tipps für ihre Fahrer, wie sie sich schützen können? Was soll ein Fahrer tun, der bemerkt, dass er gerade bestohlen wird? Die Konfrontation mit dem Täter suchen?
Planen Sie Ihre Touren sorgfältig. Sollte Ware transportiert werden, die bei Dieben beliebt ist, lohnt es sich, die Sattelzüge oder Lkw gesichert abzustellen. Hier bietet sich der Hof einer befreundeten Spedition an. Kann die Pause nur auf einem Rasthof gemacht werden, lohnt es sich immer, sich mit den Fahrern der umstehenden Lkw abzusprechen.
Falls man noch die Wahl hat, sind Parkplätze, die näher an der Tankstelle oder der Raststätte liegen, zu bevorzugen.
Es kann auch sinnvoll sein, die Ware im Lkw gesondert abzudecken, sodass das Interesse der Diebe nicht direkt geweckt wird. Zudem könnte die Investition in einen Sensor, der das Öffnen der Heckklappen anzeigt, empfehlenswert sein.
Wichtig ist natürlich auch, was vor einem Diebstahl getan werden kann. Bei den zahlreichen Fernfahrerstammtischen in Deutschland informiert die Polizei auch über den Ladungsdiebstahl.