Credit: Hauptzollamt Dresden
Hans-Werner Faust lässt keinen Zweifel: „Migranten sind die Ärmsten der Armen. Niemand verlässt aus Jux und Tollerei seine Heimat freiwillig und begibt sich sehenden Auges in Lebensgefahr – oft mit der ganzen Familie.“
Um Schleusungen zu bekämpfen, gebe es unterschiedliche Möglichkeiten. Unternehmen und Fahrern komme eine wichtige
Aufgabe zu, indem sie Schleusern den Zugriff auf das Tatmittel Lkw erschweren. Besser noch: Gar nicht erst ermöglichen. „Und das im eigenen Interesse“, betont der Sicherheitsexperte. Was Faust darüber hinaus empfiehlt, erläutert er im Interview mit Redakteur Rainer Lomen.
Herr Faust, welche Rolle spielt das Delikt Schleusung nach Ihren Erfahrungen bei der Vielfalt der kriminellen Delikte rund um die Transportbranche?
Das Thema Schleusung und die damit vom Fahrer nicht gewollte Mitfahrt war und ist ein großes Problem für Berufskraftfahrer und ihre Unternehmen im internationalen wie im nationalen Güterverkehr. Vermutlich wird uns das Phänomen auch künftig beschäftigen. Zahlen der Stiftung Weltbevölkerung zur Entwicklung der Weltbevölkerung verheißen nichts Gutes. Mit dem Anstieg der Weltbevölkerung wachsen unweigerlich Gründe für eine Flucht in eine bessere Welt. Meist sind es Krieg und Gewalt, die Menschen dazu zwingen, ihre Heimat zu verlassen.
Leider werden wir auf die Problematik immer erst aufmerksam, wenn die Medien spektakuläre Ereignisse aufgreifen und darüber berichten. Das gilt beispielsweise für die Tragödie im Oktober 2019 bei London mit 39 toten Vietnamesen in einem Lkw-Container. Mehrere Opfer hatten sich, Meldungen zufolge, vorher einige Tage in Berlin aufgehalten. Derartige Vorfälle sind schnell wieder vergessen. Es entsteht der Eindruck, dass es sich um temporäre, regionale Sachverhalte handelt. Genau dieser Eindruck ist falsch!
Denken Sie bitte daran, dass es sich nicht wie beim Lkw- und Ladungsdiebstahl in erster Linie um Sachwerte handelt, sondern immer um Menschenleben. Schleusern ist es oft relativ egal, in welchem Zustand ihre Ware „Mensch“ den Zielort erreicht. Kommt es zu einem Unglück, sind immer die Unternehmen und Fahrer mit in der Verantwortung – und obendrein die Leidtragenden!
Welche Faktoren und Tendenzen beobachten Sie?
In diesem Kriminalitätsfeld ist leider nichts unmöglich. Die Bandbreite reicht vom Auf- oder Hineinkriechen in einen Staukasten bis hin zum Einpferchen von bis zu drei Personen in einen präparierten Lkw-Tank. Aktuell wird auffällig oft in Containern beziehungsweise Kühlcontainern geschleust. Sie können von außen verschlossen werden und sind oft gut isoliert. Das bedeutet für die Eingesperrten, dass sie nicht mit eigener Kraft den Container unbemerkt verlassen können und nicht die Möglichkeit haben, mit ihren Handys Notrufe abzusetzen. Glücklicherweise kennen immer mehr Lkw-Fahrer die Problematik der ungewollten Mitfahrt
und reagieren professionell. Wöchentlich können wir in den Medien Schlagzeilen entdecken wie: „15-jähriger Migrant im Sattelzug entdeckt“, „Stimmen im Lkw: Illegal Eingereiste aufgespürt“ oder „Klopfgeräusch auf Ladefläche: Lkw-Fahrer stellt mehrere Geflüchtete fest.“
„Bei Migranten am und im Lkw handelt es sich immer um
Hans-werner Faust
Menschen in höchster Not!“
Wie werden Schleusungen eingefädelt? Inwieweit lassen sich (typische) Muster erkennen?
Eine professionell organisierte Flucht auf dem Landweg – vom Herkunftsland nach Deutschland – dauert, ohne großen Zwischenstopp, etwa einen Monat. Die Kontaktaufnahme zwischen Schleusern und Migrante findet immer öfters über die sozialen Medien statt. Einerseits kann es vernetzte kriminelle Strukturen geben, die bis in die Unternehmen hinein reichen; das heißt, Migranten werden einfach „mitverladen“. Andererseits kann es durchaus passieren, dass ein Fahrer mit seinem Tatmittel und er selbst zum Opfer wird. Letzteres Beispiel setzt voraus, dass der Fahrer weder Abfahrtskontrollen noch Sicherheitschecks durchführt und bei verplombten Aufliegern die Plombe nur auf Sicht und nicht auf „Sicht und Zug“ kontrolliert. „Opfer“, in diesem Fall Lkw und Fahrer, werden ausgesucht! Welcher Schleuser geht schon gern das Risiko ein, seine „Ware“ zu verlieren beziehungsweise von der Polizei festgenommen zu werden?
Was raten Sie einem Fahrer, der Anhaltspunkte erkennt, dass sein Lkw ins Visier von Schleusern geraten sein könnte?
An erster Stelle steht immer: Polizei informieren!
Der Fahrer sollte dazu einen sicheren Bereich aufsuchen und sein Fahrzeug im Auge behalten. Außerdem muss selbstverständlich das Unternehmen informiert werden. Es wird unweigerlich zu Lieferverzögerungen kommen, im schlimmsten Fall sogar zum „Totalausfall“ der Lieferung. Dafür reichen manchmal schon Verunreinigungen aus. Auch sollte das Unternehmen alle anderen
Fahrer über den Sachverhalt informieren und Notfallpläne für gefährliche Routen erstellen.
Vorbeugend ist zu raten, immer das Umfeld des Lkw – auch während der Fahrt – im Auge zu behalten. Schleuser begleiten mitunter ihre „Ware.“ Diese Schleuser werden Spotter genannt. Sollten Sie auf Spotter aufmerksam werden, rufen Sie die Polizei an und teilen Sie den Beamten Ihre Beobachtungen mit!
Wie sollte ein Fahrer reagieren, der konkretes Rufen oder Klopfen mutmaßlich eingeschleuster Personen in seinem Lkw wahrnimmt?
Kurze Antwort: Sofort die Polizei alarmieren!
Mancher Zeitgenosse regelt derartige Vorkommnisse auf dem kleinen Dienstweg – und schmeißt Geschleuste einfach raus. Frei nach dem Motto: „Hauptsache keinen Ärger einfangen!“. Was sagen Sie diesen Leuten?
Für derartiges Verhalten habe ich keinerlei Verständnis. Bei Migranten am und im Lkw handelt es sich immer um Menschen in höchster Not. Und denen muss geholfen werden.
Das größte Problem für die Unternehmen und Fahrer sind nicht die Migranten, sondern die Schleuser. Die Polizei kann Schleuserkriminalität nur wirksam bekämpfen, Unternehmen und Fahrer schützen, wenn sie jeden Sachverhalt kennt und ermittelt. Schleusungen im Lkw müssen für Schleuser gefährlich werden!
Welchen Rat geben Sie Unternehmern, die präventiv tätig werden wollen?
Unternehmen sind unterschiedlich von Schleuserkriminalität betroffen. Nichtsdestotrotz sollte jedes Unternehmen das Thema aufgreifen und ernst nehmen. Dazu gehören Gefahrenanalysen und gegebenenfalls Notfallpläne.
Jeder Fahrer sollte wissen, was sein Unternehmen von ihm erwartet, wenn er mit Schleuserkriminalität
konfrontiert wird. Ich weise in dem Zusammenhang wiederholt (siehe Hessischer Verkehrsspiegel 03/2020 sowie 04/2020) auf die Berufskraftfahrer-Qualifikationsverordnung (BKrFQV), Anlage 1, Ziffer 3.2, hin. Die BKrFQV gibt folgendes Lernziel vor: die Fähigkeit, der Kriminalität und der Schleusung illegaler Einwanderer vorzubeugen.
Es geht um allgemeine Informationen, Folgen für die Fahrerin oder den Fahrer von Kraftfahrzeugen, Vorbeugungsmaßnahmen,
Checklisten für Überprüfungen sowie Rechtsvorschriften, die die Verantwortung der Unternehmer betreffen.
In gezielt durchgeführten BKF-Seminaren erfahren die Teilnehmenden alles zum Thema Schleusung – und das immer auf dem aktuellen Stand. Und nicht selten lernt man vieles von den Erfahrungen anderer Seminarteilnehmer hinzu!