Credit: Rene Netzband
Die Niedrigzinsphase ist keine Phase, sondern ein Zustand! Daran müssen wir uns gewöhnen. Jetzt gilt es, Chancen zu nutzen und mutiger zu sein, erklärt uns René Netzeband im Interview.
Die Jahre 2007 und 2008 – die Blase platzt! Eine Verkettung verschiedener Ereignisse führte dazu, dass die spekulative Blase
auf dem US-Immobilienmarkt platzte. Viele Bürger der USA erhielten Kredite zur Finanzierung von Immobilien, obwohl diese
teilweise keinen Job hatten oder über ein geringes Einkommen verfügten.
Die Folge: Immer mehr Kreditnehmer konnten ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Es kam zu Zwangsversteigerungen
und einer Übersättigung des Immobilienangebots. Die Banken verzeichneten vermehrt Kreditausfälle. Am September 2008 erfuhren wir über die Medien, dass Lehman Brothers, eine der größten Investmentbanken, Insolvenz angemeldet hatte. Zahlreiche weitere Schlagzeilen folgten in den nächsten Tagen und Monaten. Ende 2008 war spätestens der Moment an dem fast jeder, auch außerhalb der USA, mitbekommen hatte, dass wir in eine Rezession rutschten. Die Finanzmarktkrise war geboren und damit begann die Niedrigzinsphase.
Guten Tag Herr Netzeband, Sie beschreiben hier ein wirklich erschütterndes Szenario. Was aber genau hat das noch heute, im Jahr 2021, mit uns in Deutschland zu tun?
Die beschriebenen Ereignisse waren nur einige der Auslöser der Finanzmarktkrise. Tatsächlich hängen damit sehr viele weitere mikro- und makroökonomische Faktoren zusammen.
Insbesondere die Gier nach großen Gewinnen spielte damals eine wichtige Rolle. Auch Deutschland ist fest in diesem Geflecht
verankert. Allerdings sind die von mir beschriebenen Ereignisse jene, welche wir medienwirksam wahrgenommen haben. Heute spüren wir das vor Allem deshalb noch, weil zeitgleich der Beginn der Niedrigzinsphase eingeläutet wurde. Im Oktober 2008 wurde der Leitzins der Europäischen Zentralbank (kurz EZB) erstmalig wieder herabgesetzt. Fortan kannte dieser nur noch eine Richtung – nach unten!
Diese Phase hält nun seit über zwölf Jahren an. Ich kann mich noch gut an die Zeit um 2010 herum erinnern als mir viele sagten, dass sie mit einem baldigen Ende der Niedrigzinsphase rechnen würden. Sie blieben im Unrecht. Es lässt sich daher sagen, dass es sich gar nicht mehr um eine Phase, sondern vielmehr um einen dauerhaften Zustand handelt.
Diesen Zustand spürt fast jeder, weil die Auswirkungen der niedrigen Zinsen quasi allgegenwärtig sind. Daran müssen wir uns leider gewöhnen.
Wer spürt denn die Auswirkungen besonders und in welchem Ausmaß?
Ich möchte gern ein paar Beispiele nennen, die wir im Alltag erleben: Wer sich in der heutigen Zeit einen Kredit nimmt, zahlt in den meisten Fällen einen sehr niedrigen Zinssatz auf den geschuldeten Betrag. Das ist für den Kreditnehmer sehr gut, weil er durch den niedrigen Zinssatz weniger belastet wird. Das gilt insbesondere für Konsumentenkredite. Extreme Beispiele kennen wir unter anderem bei Elektrofachmärkten, welche häufig mit „0 % Zinsen“ werben. Das soll dazu animieren mehr zu kaufen. Häufig sogar mehr als sich der Kunde leisten kann. Aber es funktioniert ja und somit auch der Mechanismus der EZB. Nehmen wir aber mal an, dass jemand sich sein Eigenheim finanzieren möchte. Auch in dieser Situation bekommt der Kreditnehmer vermutlich einen sehr günstigen Zinssatz von der Bank, oft unter einem Prozent. Das klingt erstmal sehr gut. Beim genaueren Hinsehen bemerken wir jedoch die Folgen: Die Nachfrage nach Immobilien stieg in den letzten Jahren derart an, sodass sich die Preise extrem nach oben entwickelt haben. Mittlerweile können sich in einigen Ballungsgebieten wie Hamburg oder München, aber auch in sehr vielen anderen Regionen, die Menschen keine Immobilien mehr leisten. Auch ich musste das schmerzhaft spüren. Ungefähr drei Jahre bin ich von Objekt zu Objekt gefahren, um das Eigenheim für meine Familie und mich zu finden. Am Ende wurde ich belohnt – aber zu einem Preis, der vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Es war wirklich unglaublich schwierig. Das lag vor allem an den hohen Preisen und der folglich damit verbundenen Verknappung des für mich bezahlbaren Angebots.
Und wie sieht es mit den Sparern aus? Diese bekommen keine Zinsen mehr für ihr Geld!
Ganz genau! Wenn irgendjemand Geld spart, verleiht er das Geld quasi und bekommt dafür im Gegenzug Zinsen. Ansonsten müsste es ja nicht verliehen werden und könnte genauso gut auch unter dem Kopfkissen aufbewahrt werden – soweit das Prinzip. Was wir erleben, ist dabei etwas völlig anderes. Stellen Sie sich vor, Sie investieren Ihr Geld für einen festen Zeitraum von zehn Jahren. Sie kaufen dabei deutsche Staatsanleihen. Sie leihen also Deutschland Geld. Der Deal dabei ist, dass Sie garantiert weniger Geld zurückerhalten als Sie zu Beginn investiert haben. Das klingt klasse, oder?
Definitiv nicht. Das würde ich nicht machen. Und dennoch ist es genau das, was wir derzeit erleben. Viele Sparer investieren ihr Geld zu 0 Zinskonditionen oder zahlen Strafzinsen. Insbesondere Anleger mit größeren Geldbeträgen oder auch Firmen sind sehr häufig von den Strafzinsen betroffen, denn immer mehr Banken in Deutschland erheben diese. Sie suchen häufig händeringend nach einer Lösung, finden diese aber nicht. Das liegt unter anderem daran, dass ein Großteil der Sparer nicht bereit ist, ein potenzielles Verlustrisiko einzugehen. Hauptsächlich die deutsche Bevölkerung liebt diese Sicherheit, wie sie in der Vergangenheit
eben nur Tagesgeld- und Sparkonten, sichere Anleihen oder auch klassische Lebens- und Rentenversicherungen geboten haben. Andere Länder, beispielsweise Australien oder auch unser direkter Nachbar, die Niederlande, sind uns da weit voraus. Die Bereitschaft, das Ersparte anderweitig zu investieren, ist dort deutlich größer.
Wir sollten deshalb mutiger und dafür offen sein, nach den Chancen zu greifen und Garantien hinter uns zu lassen. Den Kopf jetzt in den Sand zu stecken oder gar nichts zu tun halte ich für den falschen Weg. Sollten Lkw irgendwann einmal nicht mehr auf Rädern fahren, sondern durch die Luft fliegen, werden beispielsweise Frachtführer das Transportieren von Waren auch nicht einfach einstellen und das Feld den jungen Unternehmen überlassen, die direkt mit dem Fliegen begonnen haben. Der Veränderung wird man sich selbstverständlich stellen, andernfalls hat man doch bereits verloren. Beim Sparen ist es nicht anders. Nur wer jetzt umdenkt und auch etwas wagt, kann das Geld wirklich vermehren oder Sparziele für das Alter erreichen.
Wie finde ich als Sparer die für mich optimale Lösung?
Es gibt leider nicht die universelle Lösung, denn jeder hat unterschiedliche Ziele im Leben und deshalb andere Anforderungen. Fakt ist aber: In den meisten Fällen gibt es eine passende Lösung, sie muss nur gefunden werden. Dafür muss man grundsätzlich erstmal offen sein. Der Weg zum Berater seines Vertrauens ist dabei oft der erste wichtige Schritt. In vielen Fällen werden im Gespräch, persönlich oder auch virtuell, wichtige Erkenntnisse gewonnen.
Ebenfalls wird sich das Bauchgefühl melden: Was fühlt sich gut und richtig an und was fühlt sich schlecht und falsch an? Wenn
der Berater Ihnen nicht „die Lösung von der Stange“ anbieten will, wird er Sie nach Ihren persönlichen Anforderungen an die angestrebte Lösung fragen. Zu welchem Zweck wird Geld gespart und wann wird es benötigt?
Eine kurzfristige Liquiditätsreserve wird anders aufgebaut als beispielsweise die eigene Altersvorsorge, bei der im besten Fall mehrere Jahrzehnte an Zeit vorhanden sind, um diese aufzubauen. Auch die eigene Risikoneigung spielt eine wichtige Rolle. Gar kein Risiko funktioniert meist nicht mehr, also darf es ein kleines bis mittleres Risiko sein oder sogar ein hohes? Wird das Risiko reduziert, wird überwiegend auch die mögliche Rendite begrenzt.
Damit hängt auch zusammen, wie viel Rendite ich benötige, um das gewünschte Sparziel zu erreichen. Was passiert außerdem, wenn das Geld vorzeitig verfügbar sein muss oder sich an der persönlichen Situation etwas verändert?
Die Antworten auf diese und weitere Fragen geben dem Berater die Grundlage, um passende Lösungen auszuwählen und vorzuschlagen. Im Idealfall decken diese dann die Bedürfnisse des Sparers.
Was empfehlen Sie jetzt ganz konkret?
Handeln Sie rational, versuchen Sie Emotionen hinten anzustellen. Holen Sie sich Informationen und entscheiden Sie auf bestmöglicher Grundlage. Langfristig werden durch das Nutzen von Chancen die Garantien geschlagen – das war schon immer so!