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Im rund 5.000 Kilometer entfernten heutigen Kasachstan wuchs Wladimir Utte auf. Seine spätere Frau Olga verbrachte ihre Kindheit und einen Teil ihrer Jugend im ähnlich weit entfernten Russland. Anfang Januar 2000 lernten sich die beiden in Nordhessen kennen und lieben. Mit dem Unternehmerpaar aus Kassel sprachen wir über ihre Anfänge fern der Heimat sowie über die Vereinbarkeit von Familie und Job.
Als Jugendlicher kam Wladimir Utte 1992 nach Deutschland, um sich hier – fern der Heimat – eine Zukunft aufzubauen. Nach einem zehnmonatigen Sprach- sowie einem einjährigen Berufsorientierungskurs, absolvierte er erfolgreich die Ausbildung zum Heizungsbauer, bevor es im Anschluss für zehn Monate zur Bundeswehr ging. Wladimir hat nach der Bundeswehr noch fast 2 Jahre als Geselle gearbeitet bis er arbeitslos wurde. Die darauffolgende Arbeitslosigkeit überbrückte er mit der Sach- und Fachkundeprüfung für Güterkraftverkehr und heuerte bei einem Transportunternehmen an.
In dieser Zeit reifte in dem heute 45-Jährigen der Entschluss, sich selbstständig zu machen. Gesagt, getan: Sein Vater borgte ihm Geld für den ersten Lkw, den zweiten finanzierte sich Utte bereits über ein Autohaus und kurz darauf folgten Wagen Nummer drei und vier. Heute umfasst der Fuhrpark der Firma Utte Transporte knapp dreißig Lkw, die von 24 Fahrern bewegt werden. Und dieser Fuhrpark, bestehend aus Siebeneinhalb-, Zwölf- und Vierzig-Tonner sowie einem Bus, benötigt selbstverständlich Platz!
Die erste Werkstatthalle in der Miramstraße mit einer Fläche von knapp 2.000 qm wurde 2015 gekauft und brachte den einen oder
anderen Stellplatz mit sich. Doch da immer noch nicht ausreichend Parkplätze vorhanden waren, musste Utte noch bis vor zwei Jahren seine Fahrzeuge auf den Straßen in dem Industriegebiet abstellen. Im Juli 2019 kaufte Familie Utte dann das 3.000 qm große Gelände „Am Sälzerhof“, welches zuvor vom Tiefbau-Unternehmen Rohde genutzt worden war. „Wir sind wirklich glücklich darüber, dass wir nun hier mit der Firma untergekommen sind. Denn so haben wir einen viel besseren Überblick und können alle Aufgaben von einem Ort aus erledigen“, freut sich Olga Utte.
Tastatur statt Stethoskop
Olga Utte, die Ende 1999 nach Deutschland kam, lernte ihren Mann einen Monat nach ihrer Ankunft kennen. Auch sie besuchte
Sprachkurse, um dann eine Ausbildung zur Krankenschwester zu absolvieren. Während dieser Zeit half sie ihrem zukünftigen Ehemann schon im Betrieb und erledigte die Büroarbeit.
Nach ihrer Ausbildung war die 40-jährige noch anderthalb Jahre in der außerklinischen Intensivpflege tätig, bevor sie dann mit dem
ersten gemeinsamen Kind schwanger wurde. „Und seitdem arbeite ich Vollzeit – hier und Zuhause“, erzählt Utte lachend. Mittlerweile sind Sohn Nico 13 und Tochter Ella 10 Jahre alt.
Über ihre Berufsausbildung zur Krankenschwester ist Utte sehr froh. „Ich habe es nie bereut, diese Ausbildung gemacht zu haben.
Alles, was ich da gelernt habe, ist und war einfach fürs Leben. Ich mochte immer Zahlen und wäre gern Bankkauffrau geworden.“
„Dass Olga Krankenschwester geworden ist, passt ganz gut“, wirft Wladimir Utte ein. „Meine Mutter ist Krankenschwester, meine
große Schwester arbeitet in der Notaufnahme, ihre Tochter ist ebenfalls dort tätig und meine kleine Schwester ist Augenärztin und verheiratet mit einem Allgemeinmediziner. Ja, und ich bin ein Krankenbruder“, lacht der Unternehmer.
„Stimmt, mein Mann war Sanitäter bei der Bundeswehr!“ Familienbande Apropos Familie: Mit seinem Schwager Artem
Basanov kümmert sich Waldimir Utte samstags um die Wartung der Fahrzeuge. Hauptberuflich ist Basanov, gelernter Werkzeugmechaniker, als Techniker bei VW angestellt. In der Firma seines Schwagers hat er einen Mini-Job. „Wir machen hier aber nur kleinere Sachen“, berichtet Wladimir Utte. „Bei größeren Reparaturen schicke ich die Fahrzeuge in eine andere Werkstatt.“ Und seine Frau fügt hinzu: „Mein Bruder hat schon Zuhause in Russland mit unserem Vater immer rumgeschraubt. Das ist seine große Leidenschaft!“ Auch Wladimir Utte hat mit zehn Jahren sein erstes Mofa erhalten. Zwölf Monate später konnte er den Motor auseinanderbauen und wieder perfekt zusammensetzen. Als Jugendlicher jobbte er dann in seiner kasachischen Heimat in einer Traktorfabrik. Dort intensivierte er sein Wissen weiter. Diese praktischen Erfahrungen sowie seine Ausbildung als Heizungsbauer helfen ihm dabei, seinen Schwager in der Werkstatt zu unterstützen.
Doch nicht nur das: Wenn es die Zeit erlaubt, kauft er beschädigte Fahrzeuge und bringt diese auf Vordermann. Zum Teil verkauft er sie danach, andere nimmt er anschließend in seinen Fuhrpark auf. „Das mache ich nebenbei“, erläutert Utte lachend und freut sich über sein Hobby, das kein Geld kostet, sondern Geld bringt.
Wachstum durch Unternehmensübernahme
Als vor knapp drei Jahren ein Mitbewerber, mit dem stets ein partnerschaftliches Verhältnisbestand, in Ruhestand ging, übernahm Utte peu à peu dessen Touren inklusive Fahrer und Lkw. Für die Mitarbeiter hat sich kaum etwas geändert. Sie fahren Kleidung für den Einzelhandel. „Gerade für unsere älteren Fahrer ist das ein guter Job“, ist sich Utte sicher. Das Kerngeschäft von Utte Transporte ist und bleibt jedoch Stückgut. Im Umkreis von 200 Kilometern um Kassel herum ist die Firma im Einsatz: „Wir haben unter anderem Aufträge bis nach Hannover, Erfurt und Paderborn.“ ebenfalls wird Luftfracht transportiert.
Als Subunternehmer hat Utte Transporte verschiedene Auftraggeber. Deshalb wird die Dispo eben auch von diesen getätigt. In letzter Zeit hatten Uttes unter anderem Anfragen von Schenker und Zufall, ob sie für sie fahren wollen. Prinzipiell: Ja! Doch der Fahrermangel macht sich auch hier bemerkbar. „Es ist immer schwieriger, an Fahrer zu kommen“, beklagt Wladimir Utte die Lage.
„Es gab Zeiten, da haben sich auf eine Stellenanzeige vierzig Leute und mehr innerhalb kürzester Zeit beworben. Das Telefon stand quasi nicht still.Wir haben die Kontaktdaten aufgeschrieben und notiert, welche Führerscheine die Anrufer hatten.“
Viele ihrer Angestellten sind schon über zehn Jahre bei ihnen – darüber sind Uttes sehr froh. Der jüngste Mitarbeiter ist 32 Jahre, der älteste 71 Jahre alt. In diesem Sommer geht ein Mitarbeiter in Rente. Teilweise haben die Trucker durch Mundpropaganda zur Firma gefunden, teilweise durch Anzeigenschaltung im Extratipp oder in der Tageszeitung Hessische / Niedersächsische Allgemeine (HNA). „Am besten hat für uns aber tatsächlich auf Ebay-Kleinanzeigen die Personalsuche funktioniert“, berichtet Wladimir Utte.

Diese Zeiten sind leider vorbei. „Jeder Fahrer sagt Dir ‚Das ist zu wenig Geld!‘ und dann geht es zu wie auf einem Basar: ‚Wenn Du mir 100 Euro mehr gibst, dann komme ich zu Dir!‘ – das macht keinen Spaß mehr“, konstatiert Utte. „Ich verstehe die Leute, die mehr Geld haben wollen: Alle Preise steigen, also muss auch das Gehalt passen. Doch die Kalkulation in unserer Branche ist knapp.“
Raus in die Natur
Knapp ist auch die Freizeit für das Unternehmerehepaar. Der Chef, der auch regelmäßig als Fahrer einspringt, versucht diese jedoch mit seiner Familie zu nutzen. „Vor zwei Jahren waren wir für zwei Wochen in Kasachstan!“ schwärmt Olga Utte. „Das war echter Urlaub. Wir haben unseren Mitarbeitern gesagt, dass wir nur per E-Mail und WhatsApp erreichbar sind, mein Bruder war hier als Ansprechpartner und ein Fahrer hatte alle Schlüssel. Es hat alles geklappt und das tat auch mal richtig gut.“ Üblicherweise steht auch im Urlaub das Telefon nicht still und so kehrt erst ab 17 Uhr sowie am Wochenende Ruhe ein.
Mit dem Bootsführerschein sowie einem eigenen Motorboot hat sich die Familie einen lang gehegten Wunsch erfüllt. Mit dem sechs Meter langen Gefährt lässt sich eine Tour auf der Fulda unternehmen, doch am liebsten schippert die Familie vor der Küste Kroatiens umher. Generell spielen bei Familie Utte Sport und Natur eine wichtige Rolle: So hat Wladimir Utte vor vielen Jahren einen Anglerschein gemacht, zudem sind er und seine beiden Kinder begeisterte Ski-Fahrer. „Aber das ist nichts für mich“, winkt die Unternehmergattin grinsend ab. „Dennoch komme ich gern mit ins Sauerland und nach Österreich und lasse es mir an der frischen Luft gut gehen.“ Sie bevorzugt Waldspaziergänge, um abzuschalten und runterzukommen.
„Dabei sammeln wir im Herbst auch gern Pilze. Das machen wir jeden Sonntagnachmittag,“ erzählt ihr Mann. Dabei geht es – wie sollte es anders sein – natürlich auch mal um die Firma.
„Doch wir versuchen, in diesen zwei, drei Stunden wirklich einmal abzuschalten.“ Das gelingt mal mehr, mal weniger. Was in
zwanzig Jahren ist, darüber macht sich das Ehepaar noch keine Gedanken. Bis er acht Jahre alt war, ist Sohn Nico immer gern im
Lkw mitgefahren. Doch zwischenzeitlich hat der Teenager das Interesse daran verloren. „Wie das eben heutzutage so ist, zockt unser Sohn lieber“, so die 40-jährige schmunzelnd.
Ihr Mann fügt ebenfalls lachend hinzu: „Das Interesse wird sicherlich wieder steigen, wenn er erst einmal Geld für den Führerschein
und ein Auto benötigt. Dann wird Nico hier bestimmt helfen wollen.“ Darüber hinaus sind sich die Eltern jedoch einig, dass ihre Kinder später einmal das machen sollen, was ihnen Spaß macht und sie nicht an die Firma gebunden sind. „Klar, wenn Nico möchte, dann kann er hier einsteigen! Aber wenn nicht, ist das auch in Ordnung. Es gibt genug Möglichkeiten, die Firma zu verkaufen“, ist Wladimir Utte sich sicher. „Ella will Kosmetikerin werden. Räume haben wir!“ ergänzt Olga Utte.
Nichts geschenkt bekommen
Die Anfangszeit war nicht immer leicht. „Ich kam in ein fremdes Land mit einer fremden Sprache. Für meine Ausbildung habe ich
auswendig gelernt. Das hat auch alles geklappt. Aber als ich meinem Mann im Büro geholfen habe, war das nochmals eine ganz
andere Herausforderung“, erinnert sich die 40-Jährige und gibt dazu eine Anekdote preis:
„Es ging um einen Bewerber, der seinen Führerschein vom Arbeitsamt bezahlt bekommen sollte, sofern wir ihn einstellen. Das sollte ich schriftlich bestätigen. Mit meiner Formulierung war die Mitarbeiterin vom Amt allerdings nicht zufrieden und half mir dann dabei, den Brief zu schreiben. Heutzutage kann man ja glücklicherweise googeln! Doch es ist schön, wenn es Leute gibt, die einem helfen.“ So auch der Steuerberater, der die Uttes seit Jahren begleitet.
Er kennt Wladimir Utte noch von seiner Zeit als Geselle beim Heizungsbauer.
Vom Besprechungsraum aus, wo wir das Interview führen, sehen wir wie ein Herr über den Parkplatz läuft und winkt. Die Uttes winken zurück. „Das ist einer unserer Mieter“, sagt Wladimir Utte. In Eigenregie haben sie die große Baustelle seit Juli 2019 geführt. Fast alle Büros sowie eine Vierzimmerwohnung sind mittlerweile vermietet. „Wir müssen noch die Beete neu pflanzen!“ bemerkt Olga Utte. „Dann haben wir’s schön – dann haben wir’s geschafft.“