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Männer dominieren das Transport-Business seit eh und je. Doch es gibt zahlreiche starke Frauen, die wichtige Akzente in der Branche setzen. Werden es mehr? Wie lässt sich der Anteil der weiblichen Führungskräfte steigern? Mit diesen und weiteren
Fragen beschäftigen wir uns in der Titelstory der aktuellen Ausgabe. Den Auftakt markiert das Gespräch mit Unternehmerin
Anja Blieder-Hinterlang, die ihr Unternehmen in Hüttenberg leitet und sich darüber hinaus vielfältig ehrenamtlich in unserem
Wirtschaftszweig engagiert.

Anja Blieder-Hinterlang (55) ist verheiratet und Mutter einer 28-jährigen Tochter. Nach dem Abitur 1984 absolvierte sie im eigenen Haus die Lehre
´zur Speditionskauffrau und ließ sich anschließend an der DAV Bremen zur Betriebswirtin weiterbilden. Später setzte die Vielseitige das Studium
zur Diplom-Kauffrau (mit den Schwerpunkten Steuerrecht und Wirtschaftsprüfung) an der Universität Gießen drauf. Seit 2012 führt sie gemeinsam mit ihrem Bruder das Familienunternehmen, die in Hüttenberg ansässige Blieder-Transporte GmbH & Co. KG. „Auf meinen Lkw-Führerschein bin ich stolz“, unterstreicht Anja Blieder-Hinterlang. Im Ehrenamt engagiert sie sich als Vorstandsmitglied im hessischen Fachverband Güterkraft und als Aufsichtsrat der SVG Hessen. In ihrer Freizeit musiziert sie gern.
Frau Blieder-Hinterlang, wie verlief Ihr Einstieg in die Logistikbranche?
Er wurde mir sozusagen in die Wiege gelegt und war von klein auf meine Leidenschaft.
Was schätzen Sie besonders an Ihrer beruflichen Aufgabe?
Ich mag es, eine Organisation selbst gestalten zu können. Dazu zählen täglich neue Herausforderungen, die vielseitigen Aufgaben einer Geschäftsführerin im mittelständischen Unternehmen sowie die Kombination kaufmännischer und technischer Anforderungen.
Wie erleben Sie als Managerin die männerdominierte Transportbranche?
Respekt kann man sich hier nur durch Fachkompetenz erarbeiten!
Wie führen Sie? Inwieweit führen Sie anders als männliche Kollegen?
Ich versuche, einen partizipativen Führungsstil zu verwirklichen. Je nach Thematik müssen Anweisungen auch diskussionslos durchgesetzt werden, da wir ja ein durch Lenkzeitvorschriften und sonstige Transportrechtsvorschriften reguliertes Geschäftsfeld verantworten. Durch eine angemessene Kommunikation erreicht „frau“ zumindest, dass die Männer mitziehen. In der Führung des Teams sollte auch jeder entsprechend seiner Persönlichkeit angesprochen werden. Daher gibt es für mich nicht den einheitlichen Führungsstil, sondern viele Abstufungen der in der Lehre benannten Stilarten, die situationsbezogen zum Ausdruck kommen. Ich habe mein gesamtes Berufsleben unter der Führung einer Frau gestanden, daher kann ich nicht beurteilen, ob männliche Kollegen anders führen. Untersuchungen dazu überlasse ich gern der empirischen Forschung.
Wo setzen Sie Ihre Schwerpunkte?
Ganz oben steht, Dienstleister zu sein. Außerdem geht es darum, als zuverlässiger, beständiger Geschäftspartner für unsere Kunden und als Kooperationspartner unter Kollegen der Branche zu wirken.
Welchen Rat geben Sie Frauen, die eine Karriere in der Transportbranche anstreben?
Es ist notwendig, sich ein breites Fachwissen anzueignen. Den Spagat zwischen Organisation, Planung und Improvisation sollte „frau“ bewältigen wollen – und von der Art her mögen. Eine Menge Flexibilität wird benötigt, ohne sie wird es auch im Hinblick auf die Arbeitszeiten nicht gehen.
Wie beurteilen Sie generell die Karrierechancen von Frauen in der Logistik?
Betrachtet man nur einmal die verschiedenen Verkehrsträger und die Speditionstätigkeit bzw. Logistik als solche, so gibt es viele Möglichkeiten, seine Leidenschaften auszuleben. Der Zugang wirkt vielleicht etwas sperrig, weil wir uns als Branche immer sehr technisch, mit Umschlagequipment, Fahrzeugen und Kränen darstellen. Aber die Organisationseinheit „Spedition“ ist letztendlich genauso zu führen wie jedes Industrieunternehmen. Warum sollte das nicht gehen? Daher sind die Chancen gut. Es fehlt jedoch an einer medienwirksamen Darstellung von Vorbildern!
Was könnte zusätzlich für die Karrierechancen von Frauen getan werden?
Die Ausbildung zum Kaufmann bzw. zur Kauffrau für Spedition und Logistikdienstleistungen, ein Logistikstudium an der Deutschen Außenhandels- und Verkehrsakademie (Bremen, DAV) oder an einer Fachhochschule bzw. Universität erscheinen außerhalb der Branche offensichtlich nicht so bekannt zu sein wie neue Berufs- und Studienformate à la Mediendesign oder Marketing. Erstere sollten mehr beworben werden. Gerade in der Corona-Krise hat sich gezeigt, wie wichtig die Versorgungssicherheit mit Gütern für die Gesellschaft und die Unternehmen ist.
Inwiefern bewegen Sie sich in bzw. nutzen Sie selbst weibliche Netzwerke?
Ich bin Mitglied in einer Unternehmerinnen-Gruppe bei der SVG Unternehmensberatung, der sogenannten Erfa-Gruppe. Der Erfahrungsaustausch unter den Geschäftsführerinnen mit zweimaliger Fortbildungsveranstaltung im Jahr ist ein fester Bestandteil meines Terminkalenders, den ich nicht versäumen möchte.
Welche Visionen haben Sie für die Zukunft weiblicher Führungskräfte?
Die Vision, dass das Geschlecht einmal keine Rolle mehr in der Frage der Führungsposition spielt, aber nicht mittels Quotenregelungen, sondern aus Gründen der Vernunft. In der Steinzeit gingen Frauen und Männer gemeinsam jagen, sonst hätten die Kleingruppen keine größeren Tiere erlegen können. Erst die Sesshaftwerdung, Ackerbau- und Viehzucht haben zu einem veränderten Rollenverhalten geführt und auch die Körpergröße und Kraft der Frauen wurde evolutionsbiologisch reduziert, wie ich neulich in einer Fernsehdokumentation sah. Also in diesem Sinne: Zurück in die Steinzeit!
Bedenke, dass die menschlichen Verhältnisse insgesamt unbeständig sind. Dann wirst Du im Glück nicht zu fröhlich und im Unglück nicht zu traurig sein.