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Fahrten mit digital vernetzten Lkw auf deutschen Autobahnen sind sicher, funktionieren technisch zuverlässig und lassen sich gut
im Alltag eines Logistikunternehmens einsetzen. Das sind zentrale Ergebnisse des weltweit ersten Praxis-Tests mit sogenannten
Lkw-Platoons im realen Logistikbetrieb. Sieben Monate lang waren Berufskraftfahrer in zwei digital gekoppelten Fahrzeugen im
Jahr 2018 auf der Autobahn 9 zwischen Niederlassungen des Logistikunternehmens DB Schenker in Nürnberg und München
unterwegs. Diese Ergebnisse des Forschungsprojekts „EDDI“, das vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gefördert wurde, zeigt nach rund 35.000 Testkilometern, dass die Lkw-Fahrer den Fahrkomfort und das allgemeine Sicherheitsempfinden lobten.

Sind wir also einen wichtigen Schritt weiter, wenn es um das autonome Fahren geht? Wie lässt sich Platooning flächendeckend umsetzen? Tim Baumeister, Mitglied im Innovation Lab MO14 der R+V Allgemeine Versicherung AG, sprach mit uns über dieses zukunftsträchtige Forschungsergebnis.

Herr Baumeister, in welchem Rahmen haben Sie und Ihre Kollegen sich mit Platooning befasst?
Wir haben ein Beratungs- und Verrechnungsmodell aufgesetzt – einen Platoon Service Provider. Denn schließlich müssen die Einsparungen, die beim Platooning entstehen, zwischen den Beteiligten aus unterschiedlichen Speditionen aufgeteilt werden. Diesbezüglich haben wir uns natürlich das Forschungsprojekt „EDDI“ ganz genau angeschaut.

Wie geht es denn nun nach dem Forschungsprojekt weiter? Haben Sie hierüber Infos?
Leider wird hinter verschlossenen Türen weitergetüftelt (lacht). Ich gebe jedoch gern hierzu eine Einschätzung ab: Die Maut wird ein entscheidender Faktor bei der Entscheidung sein, ob sich Platooning durchsetzen kann. Es geht ja zum einen um die Eindämmung der Umweltbelastung durch Spritverbrauch und zum anderen um die Nutzung der Infrastruktur.
Platooning bedeutet eine geringere Umweltbelastung und gleichzeitig eine höhere Ausnutzung der vorhandenen Straßeninfrastruktur, da mehr Lkw dichter hintereinander herfahren können. Beides betrifft die Maut.

Hier sollte es eine Sonderbehandlung von Platooning-Fahrzeugen geben. Der Bund muss diese innovative Technologie fördern, um sowohl die Fahrzeughersteller als auch die Logistiker ins Zeitalter des autonomen Fahrens zu begleiten. Ansonsten würde Platooning nur ein weiteres Fahrassistenzsystem bleiben – wovon ich aber nicht ausgehe.

Was bedeutet Platooning für die Berufskraftfahrer?
Wird dann der Job als solcher überhaupt noch notwendig sein, beziehungsweise wie wird sich das Berufsbild verändern?
Platooning ist ein riesiger Effizienzgewinn. Natürlich wird sich dadurch auch das Berufsbild ändern. Doch ich sehe hier viele Vorteile und Möglichkeiten, dem Fahrermangel entgegenzuwirken. Die Vision könnte ja sein, dass irgendwann jeder Fahrer einen drehbaren Sessel hat.
Der Lkw wird dann nur noch auf dem Firmengelände, im Stadtverkehr und auf der Landstraße manuell gesteuert, auf der Autobahn kann der Fahrer Dank teilautonomem Fahren dann beispielsweise Dispo-Aufgaben übernehmen. Dadurch könnte der Beruf durch die noch vielfältigeren Aufgaben an Attraktivität gewinnen. Der Lkw würde quasi zum Büro.

Das klingt spannend. Aber was macht Sie so sicher, dass Fahrer sich hinter das Steuer eines solchen Fahrzeuges setzen wollen? Nicht wenige junge Menschen sind Berufskraftfahrer geworden, weil sie wirklich gern „hinterm Steuer“ sitzen, andere wiederum stehen automatisierten oder gar autonomen Fahrzeugen kritisch, wenn nicht sogar ängstlich gegenüber.
Na klar, es bedarf sicher Schulungen und Überzeugungsarbeit. Das automatisierte Fahren ist aber aus meiner Sicht die perfekte
Technik für den Übergang zum autonomen Fahren. Denn beim Platooning ist immer jemand an Bord, der im Notfall eingreifen
kann. Das ist sehr wichtig, um diesen Technologiesprung von Level 3 zu Level 5 (siehe Infokasten) gut hinzubekommen. Ich bin davon überzeugt, dass wir in spätestens 15 oder 20 Jahren autonome Fahrzeuge haben werden.

Die Technologie des automatisierten Fahrens steht ja schon an der Schwelle zur Markteinführung. Und ja: Veränderungen in Berufsbildern gehören dazu. Wer hätte gedacht, dass wir eines Tages in einem mobilen Büro arbeiten können!? Neue Technologien sind oft zuerst einmal mit Berührungsängsten verbunden, bis sie sich etablieren können, und Nutzer die Vorteile dann langfristig sehr zu schätzen wissen.

In der Studie heißt es, dass das System zu 98 Prozent reibungslos funktioniert hat. Nur einmal pro 2.000 Kilometer musste eingegriffen werden. Wenn wir das jedoch auf all den Nah- und Fernverkehr, den es gibt, hochrechnen, dann scheint Platooning nicht mehr so sicher zu sein.
Wenn unsere deutschen Hersteller diese Technologie auf den Markt bringen, dann wird diese auch zu 99,9 Prozent sicher sein – sonst würde sie nicht in den Markt eingeführt werden. Denn Fahrzeughersteller investieren nur dann, wenn sie wissen, dass sich die Technologie auch verkauft. Und das wird sie eben nur, wenn sie sicher ist. Schon im Rahmen der Studie war es so, dass die Lkw beispielsweise automatisch entkoppelt wur den, wenn sich ein Pkw zwischen zwei Lkw schob.

Okay! Angenommen die Technologie kommt auf den Markt. Wie hoch werden wohl die Anschaffungskosten sein und wie lassen sich Unternehmen überzeugen, diese Technologie auch zu erwerben?
Je nachdem wie gut das System funktioniert und welchen Mehrwert es für die Kunden im Alltag liefert, belaufen sich die Investitionskosten vermutlich auf 5 bis 15 Prozent des Fahrzeugpreises. In den USA gibt es übrigens Start Ups, die Lkw mit solchen Systemen nachrüsten. Dies ist in Europa allerdings aus meiner Sicht undenkbar. Bei uns wird ziemlich sicher der Fahrzeug hersteller auch gleichzeitig der Anbieter der Technologie sein.

Um zu investieren, brauchen die Unternehmer einen Hebel. Es wird unerlässlich sein, dass vom Staat ein Anreiz geschaffen wird. Und hier bin ich wieder bei dem Punkt der Maut. Hier muss der Staat Anreize setzen. Außerdem muss die Abstimmung zwischen Vorder- und Hintermann reibungslos funktionieren und automatisiert ablaufen, damit der Vordermann einen finanziellen Ausgleich erhält.

Wo wir schon über Kosten sprechen: Wie viel spare ich mit Platooning ein?
Wer hinten fährt, spart mehr Sprit, da wir es hier ja mit dem Prinzip des Windschattens zu tun haben. Doch auch der Vordermann spart rund ein bis zwei Prozent Sprit anhand der Verwirbelungen.

Bereits 2016 gab es eine Sternfahrt nach Rotterdam, an der mehrere Fahrzeughersteller beteiligt waren. Behörden von fünf Ländern mussten der Fahrt zustimmen, da die Bedingungen für Genehmigungen überall anders sind. Denken Sie, dass es hierzu eine europäische Lösung geben muss, um Platooning stark zu machen?
Ja! Die EU beschäftigt sich bereits damit. So gibt es mit ERTICO (vgl. www.ertico.com) eine Public-Private-Partnership mit 120 Unternehmen. Dieses Konglomerat aus Herstellern, Logistikern, Vertreter öffentlicher Institutionen und weiteren Geschäftsfeldern arbeitet an Lösungen, um autonomes Fahren zu ermöglichen und an den Markt zu bringen.

Wie aufgeschlossen sind Unternehmen gegenüber dieser Technologie?
Für Konzerne wie DB Schenker und DHL ist die Effizienz, die durch automatisiertes Fahren möglich ist, enorm. Für Mittelständler ist es oft noch nicht greifbar. Ob sich Platooning lohnt, lässt sich anhand einer Wirtschaft lichkeitsberechnung aufzeigen. Dienstleister wie die Straßenverkehrsgenossenschaften könnten hier bei sowie beim Fuhrparkmanagement und der Streckenanalyse unterstützend wirken.

Generation Greta: Denken Sie, dass jüngere Unternehmer generell aufgeschlossener sind, Platooning einzusetzen, eben auch, weil dadurch die Umweltbelastung reduziert wird?
Auf jeden Fall! Ich bin fest davon überzeugt, dass insbesondere die jüngeren Generationen dieser Technologie aufgeschlossen sind. Autonomes Fahren ist eine komplexe Geschichte. Die Technik ist spannend. Und wir haben vor hin schon einmal den Fahrermangel angesprochen:
Theoretisch könnte ein Platooning-Führerschein auch eine Art Zusatzqualifikation sein. Zum einen ist das eine Wertschätzung
gegenüber dem Fahrer, zum anderen können Arbeitgeber damit punkten und ihre Attraktivität steigern.

Thema Sicherheit. Wie ist Platooning abgesichert – sowohl was die Versicherung betrifft als auch die Sicherheit, einen vertrauenswürdigen Platoon-Partner zu finden? Wie kann ich als Unternehmer sicher sein, dass die Verrechnung funktioniert? Sie sprachen eben davon, dass auch diese komplett technisiert werden muss.
Platooning wird wie eine Mitfahrgelegenheit funktionieren. Und hier bedarf es einer seriösen Plattform, bei der beispielsweise die
Daten aller Beteiligten vertrauenswürdig behandelt werden. Mit solchen Fragen befassen sich erste Dienstleister. Wenn sich die
Technologie erst einmal etabliert hat, wird es täglich Millionen von Transaktionen geben – ob geplantes Platooning mit einem festen Treffpunkt oder „on the fly“-Platooning, bei dem sich die Teilnehmer während der Fahrt spontan miteinander verlinken.

Sicherlich ist auch dem einen oder der anderen der Begriff Blockchain schon einmal über den Weg gelaufen. Unter Blockchain versteht man eine Datenbank-Technologie, welche die Rolle von Intermediären in vielen Geschäfts bereichen überflüssig machen könnte. Dazu muss man sich die Blockchain wie ein digitales Geschäftsbuch vorstellen, das sämtliche Transaktionen in einem
Protokoll aufzeichnet. Dieses Geschäftsbuch ermöglicht es allen Vertragspartnern direkt mit einander zu interagieren, ohne dabei auf eine zwischengeschaltete Instanz angewiesen zu sein.
Jede einzelne Transaktion erhält dabei einen Zeitstempel und wird mit der vorangegangenen verknüpft. So entsteht eine zusammenhäng ende Kette aller durchgeführten Geschäftsvorfälle. Manipulationen sind praktisch un möglich, da die
Transaktionen dezentral berechnet und gespeichert werden. Als Betreiber einer solchen Lösung kommen auch wieder die Mautabteilungen der Straßenverkehrsgenossen schaften ins Spiel.

Eine letzte Frage noch: Ist Platooning nur für Transportunternehmen geeignet?
Natürlich nicht! E-Autos könnten auf diese Weise viel weitere Strecken zurücklegen. Denn wenn der Ladestand niedrig ist, dann
können sie sich einfach an ein Platoon hängen – vorausgesetzt, sie verfügen über die entsprechende Technik. Und auch „normale“ Pkw sind nicht ausgeschlossen. Theoretisch kann ein Platoon aus unbegrenzt vielen Fahrzeugen bestehen – aus dem Fahrer ein- und aussteigen können. Die Zukunft im Ver kehrswesen wird digital vernetzt.

Vielen Dank für diesen spannenden Einblick,
Herr Baumeister!

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