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Eingebettet zwischen dem Startpunkt des Fernwanderwegs Rothaarsteig, der deutschniederländischen Ferienstraße Oranier-Route sowie der deutschen Fachwerkstraße liegt die Oranienstadt Dillenburg. Und hier im beschaulichen Dillenburg hat die Gustav Waldschmidt & Sohn KG seit über 80 Jahren ihren Unternehmenssitz.
Gemütlich mutet es in dem Raum an, in dem das Interview stattfindet. Hier erinnert alles an eine gutbürgerliche Wirtschaft mit
zwei großen Tischen, Sitzbänken und einer Theke. Ideal für Betriebsfeiern, oder? Doch diese finden schon lange in der Halle statt.
„Ja, früher wurde hier gefeiert. Aber mittlerweile ist der Raum viel zu klein und wird nur noch für Termine und als Pausenraum genutzt“, klärt Steffen Waldschmidt auf. Doch der Reihe nach!
Kriegsjahre und Wirtschaftswunder
Als Gustav Waldschmidt 1937 mit einem 3,5 Tonner die Versorgung mit Lebensmitteln und Lebendvieh der ländlichen Bevölkerung im alten Dillkreis übernahm, hätte er sich wohl nicht träumen lassen, dass er damit den Grundstein für ein erfolgreiches Familienunternehmen legte, welches mittlerweile in der 4. Generation agiert. Bis in die Nachkriegsjahre belieferte Gustav Waldschmidt das Umland, dazu berechtigte ihn eine Lizenz. Mit 16 Jahren – es war das Jahr 1946 – machte dann Ernst Waldschmidt den Führerschein, der damals noch von der Bezirksregierung Lahn-Dill-Kreis ausgestellt wurde.
„Damit wäre auch geklärt, wer der Sohn bei ‚Gustav Waldschmidt & Sohn‘ ist“, wirft Steffen Waldschmidt lachend ein.
Der erste Aufschwung kam im Jahr 1949 mit einem ehemaligen Wehrmachts-Lkw. „Da wurde ein Büssing 105 restauriert und dann
ging die Geschichte so richtig los“, erzählt Klaus Waldschmidt nicht ohne Stolz und deutet mit dem Zeigefinger auf ein eingerahmtes Bild mit eben diesem Lkw.

Drei Jahre tat das Auto seinen Dienst. 1952 wurde das erste neue Fahrzeug angeschafft. Ein 120er mit Anhänger, gefahren von Klaus‘ Vater Ernst. „Und Onkel Willi dürfen wir nicht vergessen!“ ergänzt Steffen Waldschmidt. Willi Sauer, der Bruder von Ernst Waldschmidts Frau und somit Onkel von Klaus sowie Großonkel von Michael und Steffen, unterstützte seit 1950 seinen Schwager beim Aufbau der Firma. Sauer blieb über 40 Jahre in der Firma und schied erst 1992 mit dem wohlverdienten Ruhestand aus. Die beiden Männer bedienten die Kundschaft aus dem Umkreis von Dillenburg. Größter Auftraggeber: Die Gießerei WESO.
Die Chefs der Gießerei waren aus dem Ort, man kannte sich. Zu der damaligen Zeit florierte die Wirtschaft – rund 50.000 Öfen
wurden hergestellt und mussten selbstverständlich auch verteilt werden. Bis heute fährt Waldschmidt für WESO.
1959 schaffte sich die Firma dann einen Kipper ohne Anhänger von MAN an: Neu und mit 150 PS. Klaus Waldschmidt erinnert sich: „Den fuhr der Vater dann im Frühjahr, Sommer und Herbst – im Winter war keine Arbeit da.“ Fünf Jahre später folgte dann mit dem sogenannten Blauen Strich ein zweites Fernverkehrsfahrzeug.
Dieser Lkw durfte nur im Umkreis von 150 km fahren. Ganz anders der Rote Strich: Mit diesem durften Spediteure bundesweit
tätig sein. „Und so wurden Rohstoffe aus dem Ruhrgebiet transportiert. Koks, Eisen, Schrott, Kalksteine – eben alles was eine
Gießerei benötigt“, weiß Klaus Waldschmidt.
Von der OHG zur KG
Und es ging weiter aufwärts, auch die 70er Jahre seien nicht schlecht gewesen, ab und zu habe es eine Rezession gegeben, doch es ging immer weiter, erinnert sich der Senior. 1980 trat Klaus Waldschmidt in die Firma ein. Zuerst als Angestellter für ein Jahr. Aus der 1952 gegründeten OHG zwischen seinem Vater und Großvater wurde eine KG und er der Kommanditist.
Es seien gänzlich andere Zeiten gewesen. Wenn man Arbeit und ein Auto hatte, durfte man noch lange nicht fahren – hierzu brauchte es nämlich eine Konzession.
1981 dann der Kauf des ersten Silos. 1987 wurde eine Halle gebaut, die 1989 fertig gestellt wurde. Diese Erweiterung zog einen
Umzug innerhalb des Firmengeländes „von vorne nach hinten“ mit sich. In den späten 80er wuchs der Fuhrpark dann zeitweise bis
auf 14 Fahrzeuge an. Mit der Wende kamen auch Mitnahmestapler zum Einsatz. Der Osten bedeutete für das Familienunternehmen ein riesiges Potenzial. „Da wurde ja alles gebraucht: Von Keramik über Dachbedeck ungen und so“, sinniert Klaus Waldschmidt.
Wie der Vater so die Söhne
„Während die Firma weiter wuchs, begannen mein Bruder und ich dann 1995 unsere Ausbildungen. Michael absolvierte bei MAN
seine Lehre als Kfz-Mechaniker, ich hab Speditionskaufmann bei der Transland Spedition gelernt und da war ich dann auch noch bis 2003“, so Steffen Waldschmidt. „Ich habe zwischen 1969 und 1972 bei Pracht in Haiger gelernt. Kennt man jetzt als Kühne +
Nagel!“ meldet sich Klaus Waldschmidt zu Wort und führt die Firmengeschichte fort:
„Der Michael kam dann ‘99 als Angestellter in die Firma“ – als Mädchen für alles (lacht) – als Fahrer, für Reparaturen. Steffen dann 2003 als Angestellter. Sukzessive haben die beiden immer mehr und mehr Verantwortung übertragen bekommen. Ernst Waldschmidt, der bereits 1998 die Führung an Sohn Klaus übergab, schied 2008 mit 78 Jahren endgültig aus dem Betrieb aus.

So wurde Klaus Waldschmidt zum Komplementär ernannt und die Zwillinge traten als Kommanditisten ein. Jahr für Jahr hat sich das Unternehmen zudem vergrößert. Meilensteine waren hierbei in 2004 die dritte Halle und 2012 die Stückguthalle, nachdem die Firma bereits in 2010 den Schritt in den Stückgutmarkt gewagt hatte. 2013 kam dann noch Stückgutnahverkehr hinzu. Allein für diesen Geschäftsbereich sind sechs Fahrzeuge im Einsatz.
Keine Scheu vor neuen Aufgaben
Das Familienunternehmen kooperiert mit der Cargo Trans Logistik AG (CTL) in Homberg/ Efze. Die CTL versteht sich als Logistikdienstleister für Warentransport. Der Versand des Stückguts wird über die Zentrale koordiniert und über ein starkes und lückenloses Partnersystem deutschlandweit und in Europa zuverlässig umgesetzt. 160 nationale Partner gibt es. „Und wir wurden in 2019 erneut als bestes nationales Unternehmen ausgezeichnet“, freut sich Steffen Waldschmidt. Und sein Vater fügt hinzu: „Vor neuen Aufgaben scheuen wir uns nicht, aber wir wollen auch nicht so groß werden, sondern unser Unternehmen immer noch im Blick haben – ein Familienunternehmen bleiben.“
Alles außer Lebensmittel- und Automobilindustrie
Neben dem Rückblick auf die Unternehmensgeschichte umtreiben die Familie Waldschmidt aber auch aktuelle Herausforderungen:
Zu Coronazeiten musste die Firma einen leichten Einbruch in den Aufträgen feststellen, da beispielsweise im Maschinenbau
große Investitionen gestoppt wurden. Kompensiert wurde dies jedoch durch die Aufträge in der Baustoffindustrie, in der es
weiter gut lief. Neben diesen beiden Geschäftszweigen ist die KG in den Bereichen Stückgut, Gießerei, Kunststoff und Lagerlogistik
tätig. „Also wir machen eigentlich alles außer Automobilindustrie und Lebensmittel. Und wir liefern auch Klopapier!“ gibt Steffen Waldschmidt lachend an.
Insbesondere der Fahrermangel macht auch der Dillenburger Firma zu schaffen. „Keiner will mehr den Führerschein machen. In den 80er kamen die Leute von der Bundeswehr mit dem Führerschein, haben sich dann gemeldet, um Lkw zu fahren, den Traum von Freiheit zu verwirklichen“, erinnert sich Klaus Waldschmidt. Heutzutage wollen nur noch wenige junge Menschen Lkw-Fahrer werden. Das läge auch an der mangelnden Wertschätzung. „Fragen Sie mal unsere Fahrer, ob die ihren Beruf weiterempfehlen würden! Die sagen: ‚Das wird er sich doch nicht antun!‘“ so Steffen Waldschmidt. „In Holland und den skandinavischen Ländern, da sind die Leute stolz auf ihren Beruf und sagen, sie seien Chauffeur!“ Den meisten Menschen sei nicht bewusst, dass es volle Regale nur durch die Speditions- und Transportbranche geben würde.
In Frankreich würde gestreikt werden, bis die Regale leer sind, um aufzuzeigen wie wichtig eine funktionierende Logistik ist. Viele
würden zudem von den Arbeitszeiten abgeschreckt werden. Ebenfalls sei der Gehaltswunsch oftmals nicht realistisch. Doch ein
Unternehmen müsste auch hierzu die entsprechenden Umsätze generieren. „Heutzutage ist Berufskraftfahrer kein körperlich anstrengender Job mehr, allerdings sind viele durch Stau, Verkehr und Baustellen genervt. Dafür können aber wir Unternehmer nichts. Da muss sich was ändern!“ fasst Steffen Waldschmidt weiter zusammen. „Auf der Sauerlandlinie ist jede Brücke eine Baustelle!“ Die Waldschmidts beschäftigen rund 30 Mitarbeiter, davon sind fünf in der Verwaltung und drei im Lager. Das Gros der Mitarbeiter steuert die Fahrzeuge. Doch auch hier zeichnet sich ab, dass in wenigen Jahren viele altersbedingt ausscheiden werden.
„Unser jüngster Fahrer ist Mitte 30“, weiß Michael Waldschmidt. „Doch die meisten sind über 50. Wir sind froh, dass wir zwei ehemalige Vollzeitkräfte, die mittlerweile 68 und 70 Jahre alt sind, als Aushilfen für Tagestouren einsetzen können.“ Konnte früher noch eine ganze Woche durchdisponiert werden, so müsse heute von Tag zu Tag geplant werden. Hinzu komme der Zeit- und Kosten druck.
Mit Leidenschaft bewegen
Den Beruf wieder attraktiv zu machen, sehen Vater und Söhne als eine weitere große Herausforderung für die Zukunft. Da müsse
sich auch die Bundesregierung etwas einfallen lassen. Der Führerschein sei trotz Förderung zu teuer, dann passiere es häufig, dass Leute über das Arbeitsamt diesen finanziert bekommen, aber keine drei Monate später den Job wieder an den Nagel hängen. Leider könne man niemanden verpflichten, für eine gewisse Zeit dann auch den Job auszuüben. Ein Praktikum sei doch eine gute Idee, um erst einmal einen Eindruck zu bekommen, ob der Beruf des Kraftfahrers zu einem passt.
Denn Leidenschaft benötigt man für diesen Job! „Mit Leidenschaft bewegen ist unser Slogan. Und Leidenschaft braucht es – erst
recht, wenn man so wie wir 24/7 mit der Firma verknüpft ist“, meint Steffen Waldschmidt. Steffen Waldschmidt lebt mit seiner Familie im gleichen Haus wie sein Vater, Michael Waldschmidt 50 Meter entfernt. Der Sonntag sei der einzige richtige freie Tag sind sich die Männer einig. Doch auch da besprechen die Waldschmidts sich beim Spaziergang. Apropos Spaziergang: In der knapp bemessenen Freizeit sind alle gern im Freien unterwegs. Ob wandern oder Gartenarbeit – Hauptsache es geht mit der Familie an die frische Luft.

Diesel im Blut
Die Zwillinge erzählen, wie sie mit der Firma groß geworden sind, das „Gen“ schon als kleine Buben hatten: „Wir hatten einfach
schon immer Interesse an Lkw gehabt, saßen mit acht Jahren auf dem Stapler, konnten uns auch gar nichts anderes vorstellen.“ Auch Vater Klaus hegte nie Zweifel, dass seine Jungs einmal in das Familienunternehmen einsteigen.
Von klein auf habe er sie immer mitgenommen, sobald die beiden laufen konnten, seien sie stets an seiner Seite gewesen.
Mit 14 Jahren seien die beiden dann in den Ferien auch immer mitgefahren – da gab es noch kein Autotelefon, kein GPS. Es ging an einem Tag nach Hamburg, dort wurde der Lastwagen leer gemacht, dann ging’s wieder zurück. „Das war eine schöne Zeit“, merkt
Klaus Waldschmidt lächelnd an. Während er selbst noch ‚alles‘ im Betrieb gemacht habe, war die Aufteilung zwischen den Brüdern klar: „Ich bin nicht so der Büromensch und Steffen nicht so der Werkstattmensch.“ Ob der Nachwuchs denn schon in den Startlöchern stehe, möchten wir wissen:
Die 5. Generation – das sind Leonie (14) und Ole (12), die Kinder von Michael und Patricia sowie Lukas (8) und Marie Ann (6), die Kinder von Steffen und Stefanie. „Aber ob und wie, soweit sind wir noch nicht. Hier muss man sehen, was die Zukunft bringt. Für solche Entscheidungen hat es ja noch ein paar Jährchen Zeit“, stimmen die Väter überein.
Ein schönes Leben
„Unser Leben ist und war schon immer mit der Arbeit verknüpft. Und was auch wichtig ist, dass unsere Frauen gut mitspielen! Ohne das, wäre das nicht möglich“, sagt der Senior voller Anerkennung und erhält hierfür die Zustimmung seiner Söhne. „Ich musste damals nicht im Betrieb anfangen, ich bin das so reingeschlittert“, erinnert sich Klaus Waldschmidt.
Vor- und Nachteile würde es in jedem Job geben: Ein Familienbetrieb sichere die Existenz und man müsse sich keine Gedanken machen, ob morgen der letzte Arbeitstag sei. Dafür haben Firmeninhaber aber nie Feierabend, die Firma sei immer im Hinterkopf. „Das ist auch eigentlich ein schönes Leben – ich wollte nie was anderes machen!“