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Es ist ein richtig warmer und sonniger Oktobertag als wir bei der Spedition Wennekamp in Steinbach im Taunus zum Interview verabredet sind. Vor der Tür empfängt uns bereits der 23-jährige Andreas vom Bruch, der nach der Berufsschule in Wetzlar extra für diesen Termin in den Betrieb gefahren ist. Im vierten Stock erwarten uns Geschäftsführerin Simone Wennekamp und der angehende Kaufmann für Speditions- und Logistikdienstleistungen Kevin Salzmann.
Seit mittlerweile über zehn Jahren ist die Spedition ein Ausbildungsbetrieb und versucht, mit jährlich zwischen zwei und fünf
Berufskraftfahrerauszubildenden dem Fachkräftemangel entgegen zu treten. Aktuell sind sieben ehemalige Azubis zum Berufskraftfahrer sowie zwei ehemalige Azubis zum Speditionskaufmann als Festangestellte beschäftigt.
In all der Zeit habe das rund 60-Mannstarke Unternehmen vor allem gute Erfahrungen gemacht. „Klar, man muss sich auf die jungen Leute einstellen und oftmals haben wir auch einen Erziehungsauftrag. Bei uns muss man viel arbeiten, aber man kann auch viel lernen. Und wir übernehmen unsere Azubis gern!“ versichert Wennekamp.
Daran führt auch kein Weg vorbei: „Denn allein dieses Jahr sind drei Mitarbeiter in Rente gegangen und trotz der Azubis ist der Altersdurchschnitt unserer Fahrer relativ hoch – wie bei vielen Speditionen. Es ist schon ein Erfolg, wenn mehr als die Hälfte die Ausbildung beenden und dann erst einmal bei uns bleiben. Ich kann es aber total verstehen, wenn man auch nochmal in einem anderen Betrieb Erfahrung sammeln möchte“, erzählt die Chefin und ergänzt schmunzelnd: „Der eine oder die andere kam auch schon wieder zurück zu uns!“
„Wir sind systemrelevant!“
Aktuell gibt es in dem Familienbetrieb sechs Azubis: Andreas vom Bruch ist einer von fünf angehenden Berufskraftfahrern und Kevin Salzmann lernt seit August Kaufmann für Speditions-und Logistikdienstleistungen. Dabei wusste der 16-Jährige erst einmal gar nicht, was er nach der Realschule machen sollte. In der Schule wurden dann durch die Arbeitsagentur verschiede Berufe vorgestellt. Unter anderem: Kauffrau/-mann für Speditions- und Logistikdienstleistungen. Dass es diesen Beruf gibt, davon wussten weder Salzmann noch viele seiner Freunde.
„Das ist schon krass – denn immerhin sind wir ja auch systemrelevant!“ wundert sich der Azubi. Über die Arbeitsagentur wurde er dann auch auf die freie Lehrstelle bei Wennekamp aufmerksam. Und dann ging alles ganz schnell:
Freitag Vorstellungsgespräch, Montag Ausbildungsbeginn.
Salzmann fühlte sich in der Spedition sofort wohl. Nur in der Berufsschule musste er sich anfangs einleben. „Meine Mitschüler sind
alle schon um die 20 und ich kam ja ganz frisch von der Schule. Das war zuerst komisch, doch mittlerweile komme ich gut zurecht“, erinnert sich Salzmann. „Ich durfte hier von Anfang an schon sehr viel mitarbeiten und habe nun auch einen kleinen eigenen Aufgabenbereich. Mir macht das richtig viel Spaß und es ist ein gutes Gefühl, die Kollegen unterstützen zu können, ein Teil des Teams zu sein. Wenn da jetzt eine Rechnung reinkommt, dann weiß ich, dass ich einen Auftrag dazu eingetragen habe“, berichtet der junge Mann strahlend.
Am anderen Ende der Welt
Erst im Rahmen eines Work & Travel-Jahres entdeckte vom Bruch seine Leidenschaft für das Lkw-Fahren. Nach seiner Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker habe er in diesem Job noch ein halbes Jahr gearbeitet. Dann ging es von September 2018 bis 2019 nach Australien sowie anschließend für drei Monate nach Neuseeland und Südostasien. „Tatsächlich habe ich in Down Under auf einer Farm festgestellt, wie viel Spaß mir das Fahren mit einem Lkw macht. Dort sollte ich nämlich einen Auflieger woanders hinfahren. Nach einer kurzen Ein weisung habe ich das dann einige Male gemacht, mich über den Job des Berufskraftfahrers informiert, YouTube-Videos geschaut und dann einen ehemaligen Arbeitskollegen kontaktiert, der hier bei Wennekamp arbeitet“, erinnert sich der 23-Jährige.
Noch während seiner Reise schickte er seine Bewerbung los und absolvierte im Dezember letzten Jahres ein Vorstellungsgespräch. Durch seine Erstausbildung ist vom Bruch direkt ins zweite Lehrjahr eingestiegen. Und nicht nur das: Das erforderliche Werkstattpraktikum ist bei dem gelernten Kfz-Mechatroniker nicht mehr erforderlich.
Ob wohl die Ausbildung für ihn erst im Februar anfing, durfte er bereits im Januar mit der Theorie für den Führerschein beginnen. Stolz ergänzt vom Bruch: „Und seit August habe ich nun die Fahrerlaubnis und mache meine eigenen Touren – die erste ging für
drei Tage über Bochum quer durch Deutschland!“
Erfolg mit kurzen Wegen und flachen Hierarchien
Stolz ist auch Wennekamp auf ihre Schützlinge:
„Andreas ist ein sehr motivierter und zuverlässiger Azubi und hat im Eiltempo seinen Führerschein absolviert.“ Es ärgert sie, dass Jobs in der Transport- und Logistikbranche und ins besondere die Arbeit des Berufs kraftfahrers so unterschätzt werden.
„Ich finde es be merkenswert, wenn junge Leute einen 40 Tonner rangieren – die Fahrer tragen viel Verantwortung und müssen neben dem Fahrzeug auf die Ladung achten, die ja auch schnell mal mehrere Zehntausend Euro betragen kann. Zudem sind Lkw mittlerweile hoch technisiert. Und auch im Büro geht es anspruchsvoll und abwechslungsreich zu“, äußert sich die Chefin anerkennend und deutet auf den neben ihr sitzenden Salzmann: „Und Kevin macht das auch richtig prima und hat sich hier total schnell integriert.“ Wennekamp ist sich sicher, dass dies auch mit den überschaubaren Strukturen zusammenhängt.
Es gäbe nur eine kleine Verwaltung mit sechs Mitarbeitern, einem Azubi sowie ihrem Bruder und Geschäftspartner Christoph Wennekamp und ihr selbst. Und da macht jeder quasi alles – ob Auftragserfassung, Rechnungsprüfung, Einkauf oder Disposition. In dem Großraumbüro sind die Wege kurz und die Chefs immer ansprechbar. „Und das finde ich auch das Gute daran: Unsere Azubis können alle Aufgaben viel intensiver kennenlernen und sind nach der Einarbeitung sehr schnell sehr selbstständig. Verantwortung zu übernehmen, baut das Selbstbewusstsein auf“, betont Wennekamp.
Regelmäßige Schulungen sowie Teamevents stärken in dem inhabergeführten Betrieb zudem den Zusammenhalt. „Es ist wirklich schade, dass in diesem Jahr unser Sommerfest nicht stattfinden konnte. Wir verbinden das immer gern mit einem Vortrag und einer anschließenden Feier“, bemerkt Wennekamp.
Zudem erinnert sie sich gern daran, dass die Mischung aus jungen und älteren Mitarbeitern von jeher gut funktioniert hat: „Schon so manch alter Hase hat in lockerer Runde seine Fähigkeiten als Mentor entdeckt!“ Und so lernt man bei der Spedition Wennekamp von und miteinander.
Licht und Schatten
Neben all dieser positiven Aspekte wissen Wennekamp und die beiden Nachwuchskräfte jedoch auch um die Schattenseiten ihrer Branche:
Neben dem Preiskampf macht die drei auch die fehlende Wertschätzung nachdenklich. „Im Sommer habe ich schon einige Plakate mit Danke, dass Ihr für uns weiter fahrt! gesehen. Darüber freut man sich. Das ist dann aber auch wieder abgeflacht und nun sind wir wieder der Depp, der den Stau verursacht und die rechte Spur blockiert“, gibt sich vom Bruch resigniert.
Viele hinterfragen nicht, wie sich die Läden füllen und wissen gar nicht um die Wichtigkeit dieses Jobs. Ich nehme jetzt vieles anders wahr, wenn ich in einen Laden reingehe, weil ich halt nun auch einfach einen Einblick hinter die Kulissen habe.
Das fehlt vielleicht vielen.
„Und das zieht sich ja über die einzelnen Anlaufstellen“, bedauert vom Bruch. So weiß er zu berichten, dass Fahrer teilweise auch bei der Warenannahme abgefertigt werden. „Wenn irgendwas fehlt oder nicht ausgefüllt ist, lässt der Umgangston manchmal schon zu wünschen übrig. Aber natürlich haben die Sicherheitsleute an der Schranke auch gute und schlechte Tage“, so
die Erfahrungen von vom Bruch.
„Seit zehn Jahren passiert nichts“, hakt Wennekamp ein. „Das betrifft so viele Dinge. Ob es die Warte zeiten an den Ladestellen
sind, schlimme Unfälle beim Abbiegen, Parkplatzmangel, … Der Fahrer ist das letzte Glied in der Kette und bekommt das zu spüren.
Um das Image aufzuwerten und den Berufsstand attraktiv zu machen, ist auch die Politik gefragt.“ Sie bedauert, dass sich die Branche so wenig geschlossen gibt. „Dabei lässt sich gemeinsam sicherlich so viel mehr erreichen.
In anderen Ländern verbündet sich die Transport- und Logistikbranche und treten so auch in den Streik, um auf Missstände aufmerksam zu machen“, erläutert Wennekamp. Dazu gehören neben dem Parkplatzmangel unter anderem auch die sich aneinander reihenden Autobahn baustellen: „Die verschärfen natürlich noch mals das Problem der vollen Straßen.“
Mit der Parkplatznot wurde Nachwuchsfahrer vom Bruch ebenfalls schon konfrontiert. „Die Dispo plant das schon immer so, dass ich meine Tour gegen 15, 16 Uhr beende, denn nach 17 Uhr ist alles voll. Das ist schrecklich. Es gibt viel zu wenige Parkplätze.“ Mit Blick auf die Niederlande und Frankreich gibt sich die Geschäfts führerin als Verfechterin des Tempolimits zu erkennen: „Das nimmt einfach auch Druck weg!“
Der siebte Sinn
Gegenseitige Rücksichtnahme im Straßenverkehr wünschen sich Wennekamp und vom Bruch. „Vielleicht sollte wieder die deutsche
Fernseh-Informationssendung zur Verkehrssicherheit ‚Der 7. Sinn‘ eingeführt werden, um auf Gefahren hinzuweisen, die beim ‚schnell, schnell, noch am Lkw vorbei‘ entstehen können“, merkt die Firmeninhaberin an. Das scheint auch ein Schreckensszenario für vom Bruch zu sein: „Im Stadtverkehr stehe ich richtig unter Strom und wenn dann jemand noch schnell vorbei huscht und keine zwanzig Sekunden Zeit zum Warten hat, frage ich mich, ob das sein muss – am Ende bin ich schuld.“
Dennoch macht vom Bruch seinen Job richtig gern. „Auf der Autobahn ist es im Lkw ein Luxus. Es gibt eine Standklimaanlage, eine
Standheizung, Assistenzsysteme, … Eigentlich muss man nur noch lenken. Denn durch den Tempomat bremst das Fahrzeug ja auch
automatisch ab, wenn der Abstand zum Vordermann zu gering wird.“ Während der Fahrten hält er telefonisch Kontakt zu seinen Klassenkameraden oder lässt Hörspiele auf Englisch laufen. Zuletzt Harry Potter. „Mein Lkw ist wie mein Wohnzimmer. Wenn ich zwei, drei Wochen im Fernverkehr unterwegs bin, übernachte ich ja auch im Lkw. Da schlafe ich sogar richtig gut“, gibt vom Bruch lachend an. Wennekamp weiß es zu schätzen, wenn ein Fahrer Spaß am Fernverkehr hat. „Das ist nicht selbstverständlich und tatsächlich eine Herausforderung – auch für eine Partnerschaft!“
So verwundert sie es nicht, dass auch die Arbeitszeiten auf viele abschreckend wirken. Das Privatleben müsse schon gut
organisiert sein. Vom Bruch pflegt seine sozialen Kontakte vor allem am Wochenende.
Ab und zu geht es für ihn auch ins Fitnessstudio. „Glücklicherweise finden sich aber immer wieder Nachwuchsfahrer, die Lust auf das Abenteuer Fernverkehr haben“, gibt sich Wennekamp zufrieden. Salzmanns Arbeitszeiten sind zwar geregelter, dennoch hat sich seit seinem Eintritt ins Berufsleben seine Freizeitgestaltung verändert. „Früher habe ich viel gezockt, aber jetzt sitze ich lieber im Kleingarten – Pause vom Bildschirm. Und mir ist der Austausch mit meinen Freunden und meiner Familie wichtig.“ Und dann fügt er noch hinzu, wie froh er ist, diesen Ausbildungsplatz gefunden zu haben: „Die langen Corona-Ferien sind mir richtig aufs Gemüt geschlagen, doch hier hatte ich endlich wieder eine Aufgabe und damit auch neue Lebensfreude!“