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Mit Natnael Tewdros Yoseph, Auszubildender bei der Schuldes Spedition GmbH und Jörg Peter Biemer, Fachlehrer an der Werner-von-Siemens-Schule sprachen wir über Tom Astor, Traumberufe und Toiletten. Wer Natnael Tewdros Yoseph zuhört, weiß:
Hier hat jemand seinen Traumjob gefunden!
Der 22-jährige Äthiopier kam vor gut dreieinhalb Jahren nach Deutschland. Im Gepäck: Der Wunsch, Berufskraftfahrer zu werden.
„Mein Vater und mein Opa sind auch Trucker“, erzählt Yoseph und fügt hinzu, dass sein Vater seit über 15 Jahren in Deutschland fährt und anfangs gar nicht vom Berufswunsch seines Sohnes begeistert war. „Mein Vater kennt den Job ja und wollte nicht, dass ich auch diesen Weg einschlage, immer unterwegs. Aber es ist mein Weg!“ Dennoch unterstützte sein Vater ihn dann. So nahm er seinen Sohn für ein Vierteljahr mit auf Tour, damit dieser ein Gefühl dafür bekommt, was ihn erwartet. „Sobald ich auf einer der Touren die Augen zugemacht habe, hat mich mein Vater angestupst: ‚Hey, hier wird nicht geschlafen! Wenn Du hinter dem
Steuer sitzt, dann musst Du auch die ganze Zeit wach bleiben.‘“, erinnert sich der junge Mann. Das konnte Yoseph aber nicht davon abhalten, den Weg als Berufskraftfahrer einzuschlagen. Mittlerweile befindet er sich im zweiten Lehrjahr.
Ein erster Meilenstein ist hierbei geschafft:
Kürzlich hat Yoseph in der Verkehrsfachschule der SVG seinen Führerschein der Klasse C und CE erworben. Anfang Oktober durfte er dann erstmals hinters Steuer: Mit einem erfahrenen Kollegen auf dem Beifahrersitz ging es nach Hamburg. Nach erfolgreich bestandener Feuerprobe ist er seitdem allein ‚on the road‘. Was ihm denn an seinem Job am meisten Spaß mache, wollen wir wissen: „Bis auf die teilweise langen Wartezeiten, wenn nichts zu tun ist, macht mir alles an diesem Job Spaß!“
Über ein kurzes Praktikum zum Ausbildungsvertrag
Auf die südhessische Spedition Schuldes ist Yoseph im Internet aufmerksam geworden. In einem dreitägigen Praktikum konnte er Christopher Schuldes, der im Familienunternehmen die Geschäftsführung eng unterstützt, von sich und seiner Leidenschaft überzeugen und hatte den Ausbildungsvertrag in der Tasche. Von seinem Ausbildungsbetrieb ist der angehende Berufskraftfahrer begeistert. „Das ist nicht nur ein Spruch, das stimmt wirklich!“ erzählt er und tippt sich auf die Brust. Dort auf der Fleecejacke befindet sich ein Smiley und der Firmennamen, der auf der Unternehmenswebsite und auf den Lkw mit ‚Die freundliche Spedition‘ unter zeichnet ist.
Yoseph fühlt sich bei seinem Arbeitgeber sichtlich wohl. „Es sind wirklich alle freundlich und der Umgang untereinander sowie der Zusammenhalt sind toll. Wenn es Probleme gibt, ist Christopher Schuldes immer für uns da. Und auf dem Firmengelände gibt es sogar Wohnungen für die Angestellten. Ich bin dort in meine erste eigene Wohnung gezogen!“ schwärmt Tedros. Sein Arbeitgeber bietet samstags Weiterbildungsmodule an. Obwohl das Thema in der Schule noch nicht auf dem Lehrplan stand, ist Yoseph bereits in der Routenplanung fit.
Ebenfalls können samstags Inhalte aufgearbeitet werden, die in der Schule nicht verstanden wurden. Doch damit nicht genug: Nach dem Berufsschulunterricht, der in einem sechs- bis achtwöchigen Rhythmus in 14-tägigen Blöcken stattfindet, beziehungsweise nach der Praxisphase absolviert Yoseph Sprachkurse, um seine Deutschkenntnisse zu verbessern. So hat er vor drei Monaten den B1-Kurs bestanden.
Rollendes Klassenzimmer
Seit über 30 Jahren bietet die Werner-von-Siemens-Schule einmal im Jahr mit ihrem Projekt „Rollendes Klassenzimmer“ den Auszubildenden Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrern ein besonderes Erlebnis. Ob Offroad fahren, ein Besuch im Bundestag oder eine Fahrt durch die Berge – die angehenden Lkw-Fahrer und -Fahrerinnen dürfen sicher sein, dass ihre Lehrer immer wieder für eine Überraschung gut sind.
Ein Highlight für die Schülerinnen und Schüler war der Besuch des Verkehrsausschusses im Bundestag. Hier durften die Nachwuchskräfte Wünsche äußern. Einer davon: Der Bau von neuen Parkplätzen. Diese Anregung wurde umgesetzt. In diesem Jahr konnte – wie so vieles anderes auch – das Rollende Klassenzimmer nicht durchgeführt werden. Doch auch diese Zeit geht vorüber
und dann wird das Klassenzimmer zum nächsten Erlebnis rollen.
Hobby zum Beruf gemacht
Seine Zukunft sieht der junge Mann im Fernverkehr. „Der Job macht richtig Spaß und man sieht immer etwas Neues. Ich
liebe es, im Truck unterwegs zu sein. Letztens war ich ein Woche auf Tour. Als ich zu rückkam, habe ich eine weitere Nacht in der Fahrerkabine ge schlafen“, gesteht Yoseph lachend. Wenn die Möglichkeit besteht, würde Yoseph auch nach seiner Ausbildung
weiterhin bei Schuldes bleiben – am liebsten bis zur Rente. Viel Freizeit bleibt dem 22-Jährigen neben der Arbeit, der Schule und
den Deutschkursen nicht. Wenn er nicht gerade lernt, hält er sich gern mit Sport fit. Und dann gibt es noch eine andere Vorliebe:
Musik! „Alle denken immer, ich würde am liebsten Rap oder Hip Hop hören“, sinniert Yoseph. „Aber das stimmt gar nicht. Wenn ich
im Lkw unterwegs bin, dann höre ich Tom Astor! Durch Zufall habe ich den Song „Flieg junger Adler“ gehört und dann habe ich immer weitere Titel kennen gelernt. Ich liebe diese Musik sehr!“ Für nächstes Jahr hat Yoseph eine Karte für das Tom Astor-Konzert in Worms und hofft, dass dieses statt finden kann, um seinen Lieblingskünstler einmal live erleben zu können.
Passion auch auf der anderen Seite des Tisches.
Dort hat Jörg Peter Biemer das Gespräch mit Natnael Tewdros Yoseph aufmerksam verfolgt und oftmals anerkennend genickt.
„Das sich jemand für den Fernverkehr begeistern kann, ist wirklich eine Rarität. Die meisten angehenden Berufskraftfahrer möchten die Nacht im heimischen Bett ver bringen“, weiß Biemer. Als Fachlehrer für Berufskraftfahrer und Gründungsvater der Ausbildungsinitiative Berufskraftfahrer e.V. hat Biemer bereits viele angehende Berufskraftfahrer kennengelernt.
Systemrelevanter Job
Biemers Eltern waren mit einer Tankstelle und Werkstatt selbstständig. So kam er schon früh mit Autos, Schrauben und Motoren in Berührung. Umso weniger verwundert es, dass er eine Lehre als Kfz-Mechaniker absolvierte und den Meister oben draufsetzte. Im Berufsbildungszentrum des Straßenverkehrs ließ er sich zum Fachdozenten für den Straßenverkehr ausbilden. Über zehn Jahre lang betreute er Auszubildende im Güterkraftverkehr.
Als Trainer für Verkehrssicherheit bildete Biemer Kraftverkehrsmeister aus und unterrichtete in diversen Sach- und Fachkundelehrgängen – bis ein unverhofftes Angebot von der Werner-von-Siemens-Schule kam:
Die Berufsschule suchte einen Lehrenden für den Zweig Berufskraftfahrer – unbefristet.
Zu dieser Zeit war Biemer als Arbeitsvermittler tätig, nahm jedoch umgehend die Chance wahr, als Seiteneinsteiger im Schuldienst junge Menschen zu fördern und zu fordern. Denn das ist das, was ihm am Herzen liegt. Und:
Für mich sind Lkw-Fahrer die Helden – und das nicht erst seit Corona! Die Fahrer und Fahrerinnen tun alles dafür, dass alles läuft und sind das wichtigste Glied in der Kette, wenn es darum geht, Ware von A nach B zu transportieren. Das ist ein systemrelevanter Ausbildungsberuf!
Deshalb trichtert er seinen Schützlingen ein, sich nicht für die Berufswahl zu schämen, sondern stolz zu sein, solch einen Beruf auszuüben. „Das Image von Berufskraftfahrern ist leider nicht gut. Und das ärgert mich. Das wird teilweise von Schulen schon so propagiert.“ Auf Berufsmessen, auf denen die Ausbildungsinitiative vertreten ist, habe er schon oftmals mitbekommen wie Lehrer ihre Schüler um den Stand der Berufskraftfahrer lotsten: „‚Ach, da brauchen wir nicht hin, das sind nur die Lkw-Fahrer‘“, schüttelt Biemer den Kopf. Damit sich diese weit verbreitete Ansicht ändert, ist er als Botschafter unterwegs.
Ob Kindergarten oder Hessentage – Biemer sorgt dafür, dass die Leute erfahren, dass es sich beim Berufskraftfahrer um eine
dreijährige Ausbildung handelt, die sich mit einer Vorbildung als beispielsweise Kfz-Mechatroniker verkürzen lässt. „Ein Schüler
erzählte mir, dass er auf dem Hessentag den Fahrsimulator getestet hätte und ab da sein Berufswunsch feststand. Und dann war er hier als Auszubildender. Das ist dann ein tolles Erfolgserlebnis“, so Biemer weiter. Im Rahmen der Vereinstätigkeit klärt Biemer zudem darüber auf, dass nach der Ausbildung ein Wechsel vom Güterkraft- zum Personenverkehr oder umgekehrt möglich ist. Denn in der Ausbildung wird beides gelehrt. Nur die Führerscheinprüfung für das jeweils andere Fahrzeug müssen Interessierte noch ablegen.
Hilfe bei kleinen Nöten und großen Sorgen
An der Werner-von-Siemens-Schule gibt es seit 1973 die Landesfachklasse für Berufskraftfahrer. Rund 250 Schüler, davon knapp
zwanzig Frauen, erlernen dort in jeweils drei Parallelklassen pro Jahrgang den Beruf. „Während die Jungs oftmals denken, sie können doch schon seit drei, vier, fünf Jahren Auto fahren, da würde ihnen keiner so schnell etwas vormachen, nehmen es gerade die jungen Frauen sehr genau, was der Chef und die Lehrer sagen. Das zahlt sich aus:
Die Mädels schneiden in der Abschlussprüfung auch oftmals besser ab!“ erzählt Biemer lachend. Als Branchensprecher der Berufskraftfahrer (eine Art Vertrauenslehrer) unterstützt Biemer die Auszubildenden ganz vielfältig: So vermittelt er bei Problemen mit der Lehrstelle und versucht, Ausbildungsabbrüche zu verhindern oder Lösungen zu finden, wie beispielsweise den Wechsel in eine verwandte Ausbildung. Außerdem steht den Schülerinnen und Schülern noch eine Sozialarbeiterin zur Verfügung, die
unter anderem bei der Beantragung von Wohngeld und von Fördergeldern für Sprachkurse hilft – alles, um die Auszubildenden zu
halten. Denn: Die Abbruchquote ist sehr hoch.
Viele wüssten einfach nicht, was auf sie zukommt. Biemer unterstützt in der Funktion des Branchensprechers ebenfalls die Ausbildungsbetriebe. Biemer kennt die Branche und damit auch die einhergehenden Herausforderungen. Aktuell fehlen zwischen 45.000 und 60.000 Fahrer, wie der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) und der Bundesverband Güterverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) schätzen. Hier läge allerdings auch die Krux: Viele Betriebe bilden nicht aus. Zum einen, weil sie keine
Azubis finden, zum anderen, weil sie Berührungsängste haben. Und so werden Fahrer aus dem Ausland rekrutiert. „Völlig legitim“,
findet Biemer. „Es spricht ja gar nichts da gegen. Denn wenn ich draußen zehn Lkw stehen habe und einen dicken Auftrag an der Angel, aber niemanden, der diesen ausführt, habe ich ein Problem. Wenn die Fahrer ordentlich bezahlt und nicht ausgebeutet wer den, ist es doch eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.
Dennoch ist es wichtig, eigene Nachwuchsfahrer auszubilden und dann auch möglichst an das Unternehmen zu binden.“
Dem Thema Digitalisierung sieht der Dozent gelassen entgegen und findet durchaus Vorteile beim autonomen Fahren. „Über Job verluste müssen sich die Fahrer keine Sorgen machen, sofern sie bereit sind, sich auf die neue Technik einzulassen und die Veränderungen des Berufsbildes zu akzeptieren“, so Biemer. Erleichterungen im Berufsalltag könnten ohnehin nicht schaden, denn der Job eines Berufs kraftfahrers sei kein leichter Job. „Die Fahrer müssen die Lenkzeiten einhalten, sind oftmals von Zuhause
über Nacht weg, dann gestaltet sich die Parkplatzsuche als schwierig und dann landen die Leute im schlimmsten Fall noch auf dunklen, unbewachten Parkplätzen. Und wissen Sie, was mich richtig ärgert?“ fragt Biemer und gibt sogleich die Antwort: „Das Fahrer für die Toilettennutzung zahlen müssen!“ Zurecht weist Biemer darauf hin, dass jedem anderen an seinem Arbeitsplatz Toiletten kostenfrei zur Verfügung stehen. Für jeden Toilettengang jedoch 50 Cent oder mehr zu zahlen, alternativ auf verdreckte öffentliche Toiletten zu gehen, wäre kein Zeichen der Wertschätzung.
„Die Ver bände machen viele tolle Sachen für die Fahrer. Bis Ende September gab es beim Vorzeigen der Brummicard wohl auch Vergünstigungen, doch hier sollte eine dauerhafte Lösung her!“ fordert Biemer.
Ein weiterer Wunsch von Biemer ist es, Lkw-Fahrern Respekt für ihre Arbeit zu zollen und im Straßenverkehr aufmerksam zu sein: „Solange wir die Butter noch nicht durchs LAN-Kabel schieben können, brauchen wir die Berufs kraftfahrer noch!“ proklamiert Biemer lachend. Der Dozent freut sich, wenn er bald wieder den Job des Berufskraftfahrers in Schulen und auf Messen bewerben darf, und damit dazu beiträgt, dass wieder viel mehr Leute dankbar für die „Könige der Straßen“ sind.