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Häufig unbekannt, aber immer wichtiger: das europaweit geltende Risiko-Einstufungssystem für das Straßentransportwesen.
Risikoeinstufungssysteme spielen eine wichtige Rolle in verschiedenen Branchen und Organisationen, um potenzielle Risiken zu bewerten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Nicht anders in der Transportbranche. Auch hier gibt es in den Mitgliedsstaaten der EU ein System für die Risikoeinstufung von Straßentransportunternehmen nach Maßgabe der relativen Anzahl und Schwere der von den einzelnen Unternehmen begangenen Verstößen.
Ziel des EU-einheitlichen Verfahrens ist, dass Unternehmen mit einer hohen Risikoeinstufung strenger und häufiger geprüft werden. Obwohl das System in Deutschland schon seit 2014 zur Anwendung kommt, ist vielen Transportunternehmern mit EU-Gemeinschaftslizenz oder GüKG-Erlaubnis Bedeutung, Inhalt und Anwendungspraxis dieses Systems nicht bekannt.
Welche Verstöße führen zu einer Risikoeinstufung des Unternehmens?
Das Risikoeinstufungssystem umfasst Kategorien und Arten von schwerwiegenden Verstößen gegen die Unionsvorschriften für den gewerblichen Straßenverkehr. Dabei erfolgt eine Unterteilung in verschiedene Gruppen. Hier die wichtigsten:
Gruppen von Verstößen gegen die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates (Lenk- und Ruhezeiten):
- Hier werden Verstöße gegen die einzuhaltenden Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen und Ruhezeiten aufgelistet.
- Aber auch Verstöße des Unternehmers gegen eine rechtskonforme Arbeitsorganisation, wie zum Beispiel, dass die Arbeit der Fahrer nicht so geplant ist, dass die Fahrer in der Lage sind, zur Betriebsstätte des Arbeitgebers oder zu ihrem Wohnsitz zurückzukehren
Gruppen von Verstößen gegen die Verordnung (EU) Nr. 165/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates (Fahrtenschreiber):
- Besonders hervorzuheben sind hier Verstöße des Unternehmers/Fahrers gegen die Aufzeichnungspflicht der Symbole der Länder, deren Grenzen der Fahrer während der täglichen Arbeitszeit überquert hat
Gruppen von Verstößen gegen die Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates (Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs):
- Praxisrelevant sind hier Verstöße gegen die Mitführungspflicht einer gültigen Gemeinschaftslizenz oder einer gültigen beglaubigten Kopie der Gemeinschaftslizenz
- Neu aufgenommen wurden verschiedene Verstöße gegen die EU-einheitlichen Kabotageregelungen
Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates (Rom I) (auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendendes Recht):
- Hier geht es um Verstöße gegen das auf den geschlossenen Beförderungsvertrag anzuwendende Recht (Rom-I-VO)
Gruppen von Verstößen gegen die Richtlinie (EU) 2020/1057 des Europäischen Parlaments und des Rates (Entsendung von Arbeitnehmern im Kraftverkehr):
- Diese Gruppe beinhaltet Verstöße gegen die Entsenderichtlinie der EU; u. a. unvollständige oder sogar gefälschte Entsendemeldungen
Welche Schweregrade unterscheidet das Risiko-Einstufungssystem?
Wir verdeutlichen die einzelnen Schweregrade am Beispiel einer Überschreitung der täglichen Lenkzeit.
Vorbemerkung:
Die täglich zulässige Lenkzeit beträgt 9 Stunden, wobei 2 mal in der Woche 10 Stunden zulässig sind. Wir gehen in den nachfolgenden Beispielen davon aus, dass die 2 mal 10 Stunden bereits absolviert wurden.
- MI = geringfügiger Verstoß: Fahrer überschreitet die Lenkzeit um 45 Minuten
- SI = schwerwiegender Verstoß: Fahrer überschreitet die Lenkzeit um 90 Minuten
- VSI = sehr schwerwiegender Verstoß: Fahrer überschreitet die Lenkzeit um 150 Minuten
- MSI = schwerste Verstöße: Fahrer überschreitet die Lenkzeit um 280 Minuten
Welche Konsequenzen haben registrierte Verstöße für das Unternehmen?
Schwerwiegende (SI) und sehr schwerwiegende (VSI) Verstöße werden bei wiederholtem Vorkommen von der zuständigen Behörde eines Niederlassungsmitgliedstaats als schwerwiegendere Verstöße angesehen. Dabei geht die zuständige Behörde von folgender Formel aus:
3 SI/pro Fahrzeug/pro Jahr = 1 VSI
3 VSI/pro Fahrzeug/pro Jahr = Einleitung eines nationalen
Verfahrens zur Beurteilung der Zuverlässigkeit.
Die Zahl der Verstöße pro Fahrzeug pro Jahr ist ein Durchschnittswert, der berechnet wird, indem die Gesamtzahl aller Verstöße desselben Schweregrads (SI oder VSI) durch die durchschnittliche Zahl der im Laufe des Jahres eingesetzten Fahrzeuge geteilt wird.
Die für die Überwachung der Kraftverkehrsunternehmen zuständigen Behörden werden bei Unternehmen, die mit einem erhöhtem Risiko eingestuft werden, gezielte Kontrollen vornehmen. Grundlage ist dabei die bei der Behörde geführte Unternehmensakte, in der die Verstöße und ihre Einstufung aufgelistet werden.