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Als sogenannte „Polensprinter“ sind sie in aller Munde – und für viele Zeitgenossen ein Ärgernis. Das gilt für unsere Branche, aber auch weit darüber hinaus. Die zumeist sehr leistungsfähigen Fahrzeuge übernehmen heute einen großen Teil der Transporte, die schnell und flexibel über deutsche Straßen rollen. Inwieweit ist die Polizei aktiv, um ihre Aktivitäten in geregelte Bahnen zu lenken? Redakteur Rainer Lomen hatte kürzlich die Gelegenheit, eine Streife am Abend nahe des Kirchheimer Dreiecks zu begleiten.

Jürgen Gleitzmann ist seit zehn Jahren bei der Autobahnpolizei tätig, aktuell als stellvertretender Leiter in Bad Hersfeld. Zusammen mit Urgestein Emil Hahner gehört er zu den Initiatoren des Fernfahrer-Stammtischs in Kirchheim. Die Kontrollen der Kleintransporter laufen nach seinen Worten häufig tagsüber, gelegentlich während der Nacht. Typische Punkte, die er und seine Kollegen überprüfen, sind die erforderlichen Nachweise der Fahrer. Diese fehlen mitunter, manchmal sind sie lückenhaft geführt.

In Polizeikreisen, berichtet Gleitzmann im Vorgespräch, werde immer wieder von „Lügenblättern“ gesprochen. Gemeint sind vorgefertigte Formulare, die bei Bedarf hervorgeholt werden – etwa um vorgeblich nachzuweisen, dass die Kabotage-
Vorschriften eingehalten werden. „Das gipfelt darin, dass mancher Fahrer behauptet, noch nie etwas von den einschlägigen Bestimmungen gehört zu haben“, erklärt der Beamte.

Mit gefälschten Papieren?

Schwierig werden Kontrollen häufig dadurch, dass die sprachlichen Barrieren hoch sind. Übersetzungen in Polnisch oder russisch haben die Polizisten zumeist parat. „Nach der Kontrolle sprechen die überprüften Fahrer häufig deutlich besser deutsch als zu Beginn“, plaudert Gleitzmann aus dem Nähkästchen.
Gelegentlich sind es eher banale Aspekte, die für angeregte Kommunikation sorgen. Kann sich der Fahrer ausweisen? Hat er den passenden Führerschein? Passen die Zollunterlagen zu dem, was geladen wurde? Ist die Fracht ordnungsgemäß gesichert? Wie sieht es in Richtung Überladung aus? So lauten typische Fragestellungen. „Gefälschte Papiere sind keine Seltenheit“, verrät der Polizist.

Kabotage ist ein immer junges Thema. Konkret bedeutet das für die Beamten, anhand der Ladepapiere Gezu schauen, wann der Fahrer nach Deutschland hereingefahren ist und welche Fahrten er bis zum Kontrollzeitpunkt gemacht hat. „Das ist häufig schwierig nachzuvollziehen“, erläutert Kollege Mario Döring. Um wirkungsvoll vorgehen zu können, versuchen Gleitzmann, Döring und Co., ihr Team für Sprinterkontrollen möglichst breit aufzustellen. Dazu weisen sie Kollegen in das Thema ein. Zum Abschluss der Schulungen erhält jeder Teilnehmer ein Hand-Out mit den wichtigsten Punkten.
Ist er (oder sie) schließlich fit in der Materie, fährt die Person mit einem erfahrenen Kollegen raus, begleitet ihn und sammelt so Erfahrungen im konkreten Einsatz.

Hell erleuchteter Parkplatz

Von der Theorie zur Praxis. An einem verschneiten Winterabend erhält ein Trio die Chance, Gleitzmann und Döring bei der Kontrolle sogenannter Polensprinter zu begleiten. Es sind Fachverbandsgeschäftsführer Klaus Poppe, dessen Mitarbeiter
Martin Skrozki und Redakteur Rainer Lomen. Als „Tatort“ wählen die Beamten den hell erleuchteten Parkplatz der Firma Precitool, unweit von Bad Hersfeld.
Er liegt gegenüber der Einfahrt zum Logistikriesen GLS. Die Location ist geschickt gewählt. Schließlich kommen hier nach 22.00 Uhr im Halbminutentakt Lkw bzw. Sprinter vorbei. Ein Kollege des erwähnten Duos steht mit der Kelle auf der Straße und winkt Fahrzeuge zur Kontrolle auf den Parkplatz, die wenig später bei GLS be- und entladen wollen. In den folgenden Minuten halten zwei
Sprinter mit amtlichen Kennzeichen aus Seesen und Bad Hersfeld vor den Augen der Polizisten.

Den Standort unweit des Kirchheimer Dreiecks wissen viele Logistik- und Transportunternehmen in der Region zu schätzen.
Zu ihnen zählen Hermes, GLS und Amazon, aber auch DHL, TNT, die Deutsche Post sowie Go. Allein bei GLS schlagen Sprinter pro
Nacht Waren im Gesamtgewicht von schätzungsweise rund 130 Tonnen um. Die Faustregel lautet, dass der Sprinter in der Regel Güter im Gewicht von bis zu einer Tonne lädt. „Da erahnt man, wie viele Sprinter hier pro Nacht vorbeikommen“, erklärt Döring.
Wohlgemerkt:
Die Sprinter bewegen lediglich einen Teil des gesamten Transportaufkommens. Neben ihnen rollen große und schwere Transporter
vorbei. Deren Prime-Time liegt zwischen 01.00 und 02.00 Uhr morgens.
Deshalb legen die Beamten den Schwerpunkt ihrer Kontrollen auf den Zeitraum zwischen 21.00 und 24.00 Uhr. „Uns geht es vor allem darum, Wirkung zu erzielen, aber nicht den Betrieb zu stören“, macht Polizeioberkommissar Rene Folmeg deutlich.

Kabotage immer Thema

Was dem Beobachter in den erwähnten drei Stunden auffällt: Bemerkenswert viele ausländische Fahrer sind im Auftrag deutscher Fahrzeuge bzw. Firmen unterwegs. Was dagegen die Beamten wahrnehmen, sind typische Fehler. Diese haben überdurchschnittlich häufig mit Verstößen gegen die Sozialvorschriften zu tun. Konkret heißt das, dass Lenk- und Ruhezeiten fehlerhaft oder gar nicht belegt werden, es an Dokumenten über arbeitsfreie Tage mangelt und sich vieles nur schwer nachvollziehen lässt.

Mancher Energy-Drink auf dem Beifahrersitz deutet darauf hin, dass die zumeist jungen Fahrer möglicherweise weitere Tätigkeiten bzw. Auftraggeber haben könnten. Auch drängt sich immer wieder der Verdacht auf, dass gegen Kabotage Vorschriften verstoßen wurde – doch das, so die legitime Forderung des Rechtsstaates, müssen die Beamten erst einmal nachweisen…

Urinprobe bringt Klarheit

In einem konkreten Fall an diesem Winterabend erwächst bei den Kontrolleuren der Verdacht, dass eventuell Betäubungsmittel im Spiel sein könnten. Der Fahrer, ein „alter Bekannter“ der Polizisten, ist schon häufiger aufgefallen.
Sie veranlassen einen Reaktionstest am Rand des Parkplatzes. „Wir sind uns aktuell nicht sicher. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, eine Urinprobe zu nehmen“, erläutert Folmeg das Vorgehen. Wenige Minuten später steht fest:

Das Ergebnis des Checks ist negativ. Der Fahrer kann seinen Weg fortsetzen. Im anderen Fall hätten ihn die Beamten mit zur Dienststelle genommen und dort eine Blutprobe veranlasst.
Was aus Sicht der Polizisten die Angelegenheit erschwert, ist die Tatsache, dass durchaus nicht immer auf den ersten Blick klar wird, inwieweit Grenzwerte überschritten werden. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass es unterschiedliche Grenzwerte für die verschiedenen Drogen gibt, beispielsweise für Cannabis
oder Kokain.
Ein weiterer Punkt, den der journalistische Beobachter der Szenerie verblüfft zur Kenntnis nimmt, hat damit zu tun, dass sich ein und dieselbe Firma mit zahlreichen Subunternehmern bei der Kontrolle präsentiert.
Die Unterschiede zwischen den Fahrern könnten größer kaum ausfallen. Während der eine die Dokumente exakt, geradezu penibel ausgefüllt hat, verfügt der andere über gar keine Unterlagen – „null, absolut nix“, wie ein Beamter schulterzuckend konstatiert.

Vorausschauend unterwegs!

Ein weiterer Transporter fährt vor. Der Fahrer steigt aus und öffnet die Hecktür. Die Polizisten werfen einen Blick auf die Lagerfläche des Sprinters. Ein Netz sichert vorbildlich die Ladung – endlich mal ein Lichtblick. Beim nächsten Check sieht es gänzlich
anders aus. Der Fahrzeuglenker erweist sich, zynisch gesagt, als extrem vorausschauender Kandidat, der über ziemlich übernatürliche Fähigkeiten verfügt. Denn es stellt sich heraus, dass der Mann aus Osteuropa die Unterlagen bereits für die nächsten Tage ausgefüllt hat. „Die Kontrollblätter sind für den gesamten Monat bereits bearbeitet“, erläutert Döring – und kann
sich das Schmunzeln nur schwer verkneifen.
Auch die Monatsstundenabrechnung für seinen Chef kann der vermeintlich Clevere bereits lückenlos vorweisen…

Wenn Gefahrgut rollt

Der nächste Fahrer, ein junger Mann aus der Region, weiß ebenfalls nicht zu überzeugen. Die Ladung, die er in seinem Wagen transportiert, ist überhaupt nicht gesichert.
Was die Sache verschärft: Neben unproblematischen Teilen zählen Gefahrgüter zur Ladung. „Wir bezeichnen sie als LQ, also Limited Quantities“, sagt Gleitzmann und verweist darauf, dass der Youngster eine Unterweisung nach Paragraf 1,3 ADR über die gängigsten Gefahrgutvorschriften erhalten haben müsste.
Hat er aber nicht. Damit ist der Verstoß ist nach dem Gefahrgutrecht zu ahnden. Das bedeutet, dass die Regelbuße in Höhe von 300 Euro fällig wird und sein Konto in der ominösen Flensburger Kartei um einen Punkt anwächst.

Richtige Schlüsse daraus ziehen

Sein Pech: Hätte es sich nicht um Gefahrgut gehandelt, wären lediglich 60 Euro fällig gewesen. „Ich hoffe sehr, dass der junge Fahrer seine Schlüsse daraus ziehen wird“, beschließt Döring die Kontrolle.

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